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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Mann will ich nicht sein. Wir sind Hernystiri! Wir kriechen vor niemandem!«
    Maegwin musterte ihn giftig, getroffen von seiner spitzen Bemerkung über ihre Gefühle für den Grafen von Nad Mullach – mit der Gwythinn im Übrigen vollkommen richtig lag: DieAufmerksamkeit, die Eolair ihr widmete, war nicht mehr als das, was der schlaksigen, ledigen Tochter des Königs zustand. Aber die Tränen, die sie fürchtete, kamen nicht; stattdessen schaute sie Gwythinn an, dessen hübsche Züge von ohnmächtigem Hass, Stolz und nicht zuletzt aufrichtiger Liebe zu seinem Volk und Land verzerrt waren, und sie erblickte in ihm wieder den kleinen Bruder, den sie einst auf den Schultern getragen – und selbst von Zeit zu Zeit so geneckt hatte, dass er zu weinen anfing.
    »Warum streiten wir uns, Gwythinn?«, fragte sie müde. »Was hat diesen Schatten über unser Haus gebracht?«
    Ihr Bruder senkte den Blick auf seine Stiefelspitzen und streckte ihr verlegen die Hand entgegen. »Freunde und Verbündete«, sagte er. »Komm, wir wollen hineingehen und mit Vater sprechen, bevor der Graf von Utanyeat aufkreuzt, um ihm sein törichtes Lebewohl zu entbieten.«
    Die Fenster der großen Halle des Taig standen weit offen; das hereinströmende Sonnenlicht war voll vom funkelnden Staub der auf dem Boden ausgestreuten Binsen. Die dicken Balken der Wand, aus den Eichbäumen des Circoille gehauen, fügten sich so exakt aneinander, dass kein Licht hindurchschimmerte. Oben unter den Dachbalken hingen tausend bemalte Schnitzereien von Göttern, Helden und Ungeheuern der Hernystiri. Sie drehten sich langsam zwischen den Dachsparren, und in ihren polierten Holzgesichtern spiegelte sich warm das Licht
    Am anderen Ende der Halle, von den Fenstern auf beiden Seiten ins Licht gesetzt, saß auf seinem gewaltigen Eichenthron König Lluth-ubh-Llythinn unter dem geschnitzten Hirschkopf, der über die Rückenlehne ragte und an dessen hölzernem Schädel ein Geweih aus echtem Horn befestigt war. Der König aß mit einem Knochenlöffel eine Schale Haferbrei mit Honig. Neben ihm, auf einem niedrigeren Sessel, war seine junge Frau Inahwen damit beschäftigt, den Saum eines seiner Gewänder mit einer Ranke aus zierlichen Stichen zu schmücken.
    Als die Wachtposten zweimal mit den Speerspitzen auf die Schilde schlugen, um Gwythinns Ankunft zu melden – der weniger hohe Adel wie etwa Graf Eolair bekam nur einen Schlag, der Königselber drei und Maegwin gar keinen –, schaute Lluth auf und lächelte. Er stellte die Schale auf die Armlehne des Thrones und wischte sich mit dem Ärmel den grauen Schnurrbart ab. Inahwen sah die Bewegung und warf Maegwin einen verzweifelten Blick von Frau zu Frau zu, der Lluths Tochter nicht wenig ärgerte. Maegwin war nie recht darüber hinweggekommen, dass Gwythinns Mutter Fiathna den Platz Penemhwyes, ihrer eigenen Mutter, eingenommen hatte, die gestorben war, als Maegwin gerade vier Jahre zählte. Aber wenigstens war Fiathna in Lluths Alter gewesen, kein junges Mädchen wie Inahwen! Andererseits hatte die junge, goldhaarige Frau ein gutes Herz, wenn auch vielleicht nicht allzu viel Verstand. Und schließlich war es ganz und gar nicht Inahwens Schuld, dass sie eine dritte Gemahlin geworden war.
    »Gwythinn!« Lluth erhob sich halb und strich die Krümel vom Schoß seines gegürteten gelben Gewandes. »Haben wir nicht Glück, dass die Sonne heute scheint?« Der König schwenkte die Hand zum Fenster, vergnügt wie ein Kind, das ein kleines Kunststück gelernt hat. »Es steht fest, dass wir ein bisschen Sonne brauchen, wie? Und vielleicht hilft sie uns, unsere Gäste aus Erkynland«, über der dicken, schiefen, in seiner Knabenzeit gebrochenen Nase zogen sich die Brauen zusammen und seine klugen, beweglichen Züge nahmen einen ironischen und ein wenig ratlosen Ausdruck an, »in eine versöhnlichere Stimmung zu versetzen. Glaubst du nicht auch?«
    »Nein, das glaube ich nicht Vater«, erwiderte Gwythinn und trat näher, während der König sich wieder in seinem hirschgeweihgekrönten Thron zurücksetzte. »Und ich hoffe, die Antwort, die Ihr ihnen heute gebt – mit Verlaub –, schickt sie in noch üblerer Laune nach Hause.« Er zog sich einen Schemel heran und setzte sich gleich unterhalb des erhöhten Podestes zu Füßen seines Vaters. Ein Harfner beeilte sich, ihm Platz zu machen. »Gestern Abend hat einer von Guthwulfs Soldaten Streit mit dem alten Craobhan angefangen. Ich hatte große Mühe, Craobhan daran zu hindern, dem Bastard

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