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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sie unter einer letzten Steinbrücke hindurchfuhren, schmal wie ein Federkiel, mit den Abbildern anmutiger Hirsche bedeckt. »Baum des singenden Windes«, wiederholte er, weit weg wie jemand, der tief in Gedanken versunken ist.
    Simon steuerte ihr kleines Boot wortlos zu einer Uferreihe von Steinstufen, die an einer Plattform endeten, die fast auf gleicher Höhe mit dem Wasserspiegel des breiten Flusses lag. Dort stiegen sie aus und banden das Boot an eine Wurzel, die durch den zersprungenen weißen Stein gewachsen war. Als sie die Stufen hinaufgegangen waren, blieben sie stehen und betrachteten schweigend die von Ranken überwucherten Wände und bemoosten Gänge. Selbst die Luft in der verfallenen Stadt war voll von stummen Echos wie eine gestimmte, aber nicht angeschlagene Saite. Sogar Qantaqa stand wie betreten da, ließ den Schwanz hängen und witterte. Dann spitzte sie die Ohren und winselte.
    Das Zischen war fast unhörbar. Ein Schattenstrich sauste an Simons Gesicht vorbei und prallte mit scharfem Klirren von einem der zerstörten Übergänge ab. Funkelnde Splitter aus grünem Stein stoben nach allen Richtungen. Simon fuhr herum.
    Keine hundert Ellen entfernt und von den Gefährten nur durch die wogende Wasserfläche des Flusses getrennt, stand eine schwarzgekleidete Gestalt, in der Hand einen Bogen, der so lang war wie sie selbst. Hinter ihr kam ungefähr ein Dutzend anderer Männer in blau und schwarz gemusterten Waffenröcken den Pfad hinauf. Einer von ihnen trug eine Fackel.
    Die schwarze Gestalt hob eine Hand an den Mund. Sein heller Bart schimmerte einen Augenblick im Sonnenlicht.
    »Ihr könnt nicht entkommen!«, klang Ingen Jeggers Stimme gedämpft über das Tosen des Flusses. »Ergebt euch, im Namen des Königs!«
    »Das Boot!«, schrie Binabik, aber noch während sie zu den Stufen zurückhasteten, reichte der schwarzgekleidete Ingen dem Fackelträger einen schmalen Gegenstand. Feuer loderte auf. Gleich darauf hatte er den Pfeil auf die Bogensehne gelegt. Als die Gefährten die unterste Stufe erreicht hatten, sauste ein Feuerblitz über den Fluss und explodierte in der Bootswand. Der zitternde Pfeil setzte die Borke fast sofort in Brand, und es gelang dem Troll nur noch knapp, einen der Rucksäcke herauszuzerren, bevor die Flammen ihn zurückzwangen. Für einen Augenblick hinter dem auflodernden Brand verborgen, hasteten Simon und Marya die Treppe wieder hinauf,Binabik dicht hinter ihnen. Oben rannte Qantaqa von einer Seite zur anderen und stieß ein heiseres Gebell aus.
    »Lauft!«, fauchte Binabik. Auf der anderen Flussseite traten zwei weitere Bogenschützen neben Ingen. Als Simon der Deckung des nächstgelegenen Turmes zustrebte, hörte er das schreckliche Sirren eines zweiten Pfeils und sah ihn zwanzig Ellen vor sich über die Steinplatten scharren. Zwei weitere Pfeile prallten gegen die Turmmauer, die so quälend weit vor ihm zu liegen schien. Ein Schmerzensschrei drang an sein Ohr, gefolgt von Maryas erschrecktem Ausruf.
    »Simon!«
    Er wirbelte herum und sah Binabik zu Boden stürzen, ein kleines Bündel zu Füßen des Mädchens. Irgendwo heulte ein Wolf.

28
Trommeln aus Eis

    ie Morgensonne des vierundzwanzigsten Tages im Maiamonat strahlte auf Hernysadharc hinunter und verwandelte die goldene Scheibe auf der Spitze des höchsten Daches des Taig in einen Reif aus blitzender Flamme. Der Himmel war blau wie ein emaillierter Teller, so als hätte Brynioch mit seinem göttlichen Haselstecken die Wolken verjagt, die nun finster über den hohen Gipfeln des aufragenden Grianspog lauern mussten.
    Die plötzliche Rückkehr des Frühlings hätte Maegwins Herz eigentlich erfreuen müssen. In ganz Hernystir hatten der unzeitige Regen und grausame Frost sich wie ein Leichentuch über das Land und Volk ihres Vaters gelegt. Blumen waren ungeboren in der Erde erfroren. Klein und sauer waren die Äpfel von den knotigen Ästen in den Obstgärten gefallen. Schafe und Kühe, zum Grasen auf nasse Wiesen geschickt, kamen ängstlich mit rollenden Augen in die Ställe zurück, von Hagelkörnern und Sturmböen verschreckt.
    Eine Amsel, die dreist bis zum letzten Augenblick gewartet hatte, hüpfte von Maegwins Weg in die kahlen Zweige eines Kirschbaumes hinauf und fing an, streitsüchtig zu trillern. Maegwin hörte nicht darauf, sondern raffte ihr langes Kleid und eilte der großen Halle ihres Vaters zu.
    Zuerst beachtete sie die Stimme nicht, die ihren Namen rief, weil sie sich bei ihrem Vorhaben nicht aufhalten

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