Der Drachenbeinthron
lassen wollte. Schließlich drehte sie sich aber doch unwillig um und sah ihren Halbbruder Gwythinn auf sich zurennen. Mit verschränkten Armen blieb sie stehen und wartete auf ihn.
Gwythinns weißes Wams war in Unordnung und sein goldener Halsring halb nach hinten gerutscht, als wäre er ein Kind und nichtein junger Mann im waffenfähigen Alter. Keuchend holte er sie ein. Sie schnaubte empört und machte sich sofort daran, seine Sachen zurechtzuzupfen. Der Prinz grinste frech, wartete aber geduldig, bis sie den Halsring so gedreht hatte, dass er auf dem Schlüsselbein lag. Seine lange, braune Haarmähne hatte sich zum größten Teil aus dem roten Tuch gelöst, das sie in einem lässigen Pferdeschwanz zusammengehalten hatte. Als Maegwin nach hinten griff, um es wieder festzubinden, standen sie Auge in Auge, obwohl Gwythinn gewiss kein kleiner Mann war. Maegwin machte ein finsteres Gesicht.
»Bei Bagbas Herde, Gwythinn, wie du wieder aussiehst! Du musst dich endlich bessern. Eines Tages wirst du König sein!«
»Und was hat das Königsein mit meiner Haartracht zu tun? Außerdem sah ich durchaus schön aus, als ich loslief, aber ich musste ja rennen wie der Wind selbst, um dich einzuholen – du mit deinen langen Beinen.«
Maegwin wandte sich errötend ab. Ihre Größe war etwas, bei dem sie trotz aller Mühe nicht sachlich bleiben konnte.
»Jetzt hast du mich ja eingeholt. Willst du auch in die Halle?«
»Allerdings.« Ein strengerer Ausdruck huschte schnell wie Quecksilber über Gwythinns Gesicht, und er zupfte an seinem langen Schnurrbart. »Ich habe etwas mit unserem Vater zu besprechen.«
»Ich auch«, nickte Maegwin bereits im Gehen. Die Schritte der beiden und ihre Körperlänge passten so genau zusammen, das rotbraune Haar glich sich, als wäre es auf demselben Rad gesponnen, sodass jeder Außenstehende sie für Zwillinge gehalten hätte, obwohl Maegwin fünf Jahre älter war und eine andere Mutter gehabt hatte.
»Gestern Abend ist Aeghonwye gestorben, unsere beste Zuchtsau. Wieder eine, Gwythinn! Was kann es nur sein? Eine Pest wie in Abaingeat?«
»Wenn es eine Pest ist«, erwiderte ihr Bruder grimmig und tastete nach dem mit Leder umwickelten Griff seines Schwertes, »dann weiß ich, wer sie zu uns gebracht hat. Dieser Mann ist eine wandelnde Seuche.« Er schlug auf den Schwertknauf und spuckte aus. »Ich bete nur, dass er heute einmal etwas Ungehöriges sagt. Brynioch! Wie gern würde ich mit dem Kerl die Klingen kreuzen!«
Maegwin bekam schmale Augen. »Sei kein Narr«, erklärte sieärgerlich, »Guthwulf hat hundert Männer getötet. Und auch wenn es dir merkwürdig vorkommen mag, er ist Gast im Taig.«
»Ein Gast, der meinen Vater beleidigt!«, knurrte Gwythinn und riss den Ellenbogen aus Maegwins sanftem Griff. »Ein Gast, der Drohungen von einem Hochkönig überbringt, dessen Reich unter seiner schlechten Regierung zugrunde geht – einem König, der herumstolziert und Leute einschüchtert und mit Goldmünzen um sich wirft wie mit Kieselsteinen, um dann von Hernystir zu verlangen, dass wir das bezahlen!« Gwythinns Stimme wurde lauter, und seine Schwester sah sich besorgt um, ob ihn vielleicht jemand hören konnte. Außer den bleichen Gestalten der Türhüter, gute hundert Schritte entfernt, war niemand zu sehen.
»Wo war König Elias, als wir die Straße nach Naarved und Elvritshalla verloren? Als sich Räuber – und die Götter wissen, was sonst noch – über die Frostmarkstraße hermachten?« Mit aufs Neue gerötetem Gesicht schaute der Prinz auf, nur um festzustellen, dass Maegwin nicht mehr neben ihm stand. Er drehte sich um und sah sie zehn Schritte hinter sich, wo sie mit gekreuzten Armen stehen geblieben war.
»Bist du fertig, Gwythinn?«, fragte sie. Er nickte, aber seine Lippen waren fest zusammengepresst. »Nun gut. Der Unterschied zwischen unserem Vater und dir, Bruder, beträgt mehr als nur dreißig und ein paar Jahre. Er hat gelernt, wann man reden und wann man seine Gedanken für sich behalten muss. Das ist der Grund, warum du eines Tages – dank ihm – König sein wirst und nicht bloß der Herzog von Hernystir.«
Gwythinn starrte sie eine lange Weile an. »Ich weiß«, erwiderte er endlich, »du möchtest, dass ich so bin wie Eolair und vor den erkynländischen Hunden Verbeugungen und Kratzfüße mache. Ich weiß, für dich ist Eolair Sonne und Mond – und es ist dir dabei ganz gleich, was er von dir hält, und wenn du zehnmal eine Königstochter bist –, aber so ein
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