Der Drachenbeinthron
Gefühl, dass die Krebse einfach schlauer waren als er – vielleicht jetzt schon darauf warteten, dass er den Käfig, mit einem neuen glotzäugigen Kopf gefüllt, wieder im Wasser versenkte. Er konnte sich ausmalen, wie ein ganzer Krebsstamm mit allen Anzeichen des Jubels herbeieilte, um den Köder mit einem Stock oder irgendeinem anderen Werkzeug, das eine wohlwollende Krustentiergottheit dem Krabbenvolk seit neuestem verliehen hatte, zwischen den Gitterstäben herauszustochern.
Ob ihn die Krebse wohl als weichschaligen Futter-Engel verehrten? Oder ob sie mit der kaltschnäuzigen Gleichgültigkeit einer Bande von Tunichtguten zu ihm aufsahen, die den Grad der Betrunkenheit eines Säufers prüften, bevor sie ihn um seine Börse erleichterten? Er war überzeugt, dass Letzteres der Fall war. Er setzte einen neuen Köder in den sorgfältig geflochtenen Käfig und ließ ihn mit leisem Seufzen ins Wasser zurückplumpsen. Im Sinken rollte er das Seil hinter sich ab.
Die Sonne schlüpfte gerade hinter den Horizont und tünchte den weiten Himmel über der Marsch mit orange- und pflaumenfarbigen Tönen. Tiamak stakte seinen Kahn über die Wasserwege von Wran – stellenweise nur durch den flachen Pflanzenwuchses vom Land zu unterscheiden – und hatte das unangenehme Gefühl, das Pech des heutigen Tages sei nur der Beginn einer steigenden Flut von Missgeschicken, die noch auf ihn warteten. Heute Morgen hatte er schon seine beste Schüssel zerbrochen, die er damit bezahlt hatte, dass er Roahog dem Töpfer zwei Tage lang die Liste seiner Ahnen aufschrieb; am Nachmittag hatte er eine Federspitze zerdrückt und einen großen Klecks aus Beerensafttinte über sein Manuskript gespritzt: Eine fast vollgeschriebene Seite war ruiniert. Und wenn jetzt die Krebse nicht beschlossen hatten, auf dem engen Raum seinerletzten Falle irgendein Fest abzuhalten, würde es heute Abend auch noch ziemlich wenig zu essen geben. Wie er die Wurzelsuppen und Reiskekse satt hatte!
Als er sich lautlos dem letzten Schwimmer näherte, einem kugelförmigen Gittergeflecht aus Schilf, richtete er ein unausgesprochenes Gebet an Ihn-der-stets-auf-Sand-tritt, dass gerade jetzt die kleinen Grundläufer sich unten im Käfig drängeln und stoßen sollten. Wegen seiner ungewöhnlichen Erziehung, zu der ein Jahr Aufenthalt in Perdruin gezählt hatte – unerhört für einen Wranna-Mann –, glaubte Tiamak eigentlich nicht mehr an Ihn-der-stets-auf-Sandtritt, gedachte seiner aber trotzdem mit einer gewissen Anhänglichkeit, so wie man sie für einen verkalkten Großvater empfindet, der öfter mal aus dem Haus fällt, einem früher aber Nüsse und geschnitztes Spielzeug geschenkt hat. Außerdem schadete ein Gebet nie, auch dann nicht, wenn man nicht an seinen Empfänger glaubte. Es beruhigte und machte zudem Eindruck auf andere Leute.
Langsam hob sich die Falle, und einen Augenblick schlug Tiamaks Herz schneller in seiner schmalen Brust, als wolle es die erwartungsvollen Geräusche seines Magens übertönen. Aber das Gefühl von Widerstand war nur von kurzer Dauer; wahrscheinlich hatte eine Schlingwurzel den Käfig festgehalten und war nun abgerutscht, sodass er plötzlich nach oben hüpfte und auf der wolkigen Wasseroberfläche tanzte. Etwas bewegte sich doch darin; Tiamak hob den Käfig auf und hielt ihn mit zusammengekniffenen Augen zwischen sich und den hellen Sonnenuntergangshimmel. Zwei winzige Fühlerspitzenaugen glotzten zurück, Augen, die über einem Krebs schwankten, der in seiner Handfläche verschwinden würde, wenn der Wranna-Mann die Finger darüber schloss.
Tiamak schnaubte. Er konnte sich vorstellen, was da geschehen war. Die älteren, wüsteren Krebsbrüder hatten den Kleinen so lange geärgert, bis er die Falle in Angriff nahm; das Junge, einmal gefangen, weinte, während die rohen Brüder lachten und die Scheren schwenkten. Dann Tiamaks riesiger Schatten, der Käfig jäh nach oben gezerrt, die einander betreten anstarrenden Krebsbrüder, die sich fragten, wie sie ihrer Mutter erklären sollten, dass Brüderchen nicht mehr da war.
Andererseits, dachte Tiamak unter Berücksichtigung des hohlen Gefühls in seiner Mitte, wenn das nun einmal alles war, was er heute vorweisen konnte – der Fang war zwar klein, aber in der Suppe würde er sich nett machen.
Wieder schielte er in den Käfig, kippte ihn um und schüttelte den Gefangenen auf seine Handfläche. Warum sich selbst etwas vormachen? Es war ein Tag, um auf Sandbänken aufzulaufen, und damit
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