Der Drachenbeinthron
Fenster und schaute durch das Astgewirr des Banyanbaumes zu den schnell erblühenden Sternen hinauf. Er starrte zum nördlichen Himmel und glaubte fast, den messerscharf kalten Wind zu spüren, der in die warme Luft von Wran einen eisigen Keil trieb. Lange stand er so am Fenster, bis er den Geruch seines verbrennenden Abendessens gewahrte.
Graf Eolair lehnte sich in seinem üppig gepolsterten Sessel zurück und blickte zu der hohen Decke auf. Sie war mit frommen Gemälden bedeckt, pedantisch genauen Wiedergaben von Usires, wie er die Wäscherin heilte, Sutrins Martyrium in der Arena von Imperator Crexis und ähnlichen Themen. Die Farben schienen ein wenig verblasst, und viele der Bilder waren vom Staub wie von feinen Schleiern verhüllt. Trotzdem bot sich ihm ein eindrucksvoller Anblick, auch wenn es sich nur um eines der kleineren Vorzimmer der Sancellanischen Ädonitis handelte.
Ein Millionengewicht von Sandstein, Marmor und Gold, dachte Eolair, und alles als Denkmal für etwas, das niemand je gesehen hat.
Eine unwillkommene Woge von Heimweh überflutete ihn, wie schon mehrfach in dieser letzten Woche. Was hätte er nicht darum gegeben, wieder in seiner bescheidenen Halle in Nad Mullach zu sitzen, umgeben von Nichten und Neffen und den kleinen Denkmälern seines eigenen Volkes, seiner eigenen Götter, oder im Taig von Hernysadharc, wo immer ein Stück seines geheimen Herzens zurückblieb, anstatt hier, wo ihn der landverschlingende SteinNabbans erdrückte! Doch der Wind roch nach Krieg, und er konnte sich nicht irgendwohin zurückziehen, wenn sein König ihn um Hilfe bat. Aber er war des Reisens müde. Das Gras von Hernystir unter den Hufen seines Rosses würde ein wunderbares Gefühl sein.
»Graf Eolair! Vergebt mir, ich bitte Euch, dass Ihr warten musstet.« Vater Dinivan, der junge Sekretär des Lektors, stand in der Tür am anderen Ende des Zimmers und wischte sich an seinem schwarzen Gewand die Hände ab. »Heute war bereits ein voller Tag, und wir sind noch nicht einmal am Ende des Vormittages angelangt. Trotzdem«, er lachte, »ist das eine recht magere Entschuldigung. Bitte kommt mit in meine Wohnung!«
Eolair folgte ihm aus dem Vorzimmer hinaus. Seine Stiefel verursachten auf den dicken Teppichen kein Geräusch.
»Da wären wir«, meinte Dinivan grinsend und wärmte sich die Hände am Feuer, »ist das besser? Es ist ein Skandal, aber wir können das größte Haus des Herrn nicht warm kriegen. Die Decken sind zu hoch, zumal in einem so kalten Frühjahr!«
Der Graf lächelte. »Um die Wahrheit zu sagen, ist es mir kaum aufgefallen. In Hernystir schlafen wir mit Ausnahme der allerschlimmsten Wintertage stets bei offenem Fenster. Wir sind ein Volk, das im Freien lebt.«
Dinivan wackelte mit den Augenbrauen. »Und wir in Nabban sind verweichlichte Südländer, wie?«
»Das habe ich nicht gesagt!« Eolair lachte. »Eines seid ihr Südländer jedenfalls – Meister der schlauen Rede.«
Dinivan nahm auf einem Stuhl mit ungepolsterter Lehne Platz.
»Ah, aber Seine Heiligkeit der Lektor – der, wie Ihr wisst, ursprünglich ein Erkynländer ist – kann uns im Reden allen etwas vormachen. Er ist ein weiser und einfühlsamer Mann.«
»Das weiß ich. Und er ist es, über den ich mit Euch sprechen möchte, Vater.«
»Nennt mich Dinivan, bitte. Ach, das ist immer das Los der Sekretäre großer Männer – niemand sucht sie um ihrer selbst willen auf, immer nur wegen ihrer Nähe zu anderen.« Er machte ein scheinbar niedergeschlagenes Gesicht.
Eolair stellte fest, dass ihm dieser Priester sehr sympathisch war.»Das ist in der Tat Euer Verhängnis, Dinivan. Jetzt, bitte, hört mich an. Ich vermute, Ihr wisst, weshalb mein König mich hierhergeschickt hat?«
»Ich müsste in der Tat ein Tölpel sein, wenn ich es nicht wüsste. Wir leben in Zeiten, die Zungen wedeln lassen wie die Schweife aufgeregter Hunde. Lluth wendet sich an Leobardis, um mit ihm gemeinschaftlich vorzugehen«
»So ist es.« Eolair trat vom Feuer weg, um einen Stuhl in Dinivans Nähe zu ziehen. »Es ist ein empfindliches Gleichgewicht: mein König, Euer Lektor Ranessin, Elias der Hochkönig, Herzog Leobardis …«
»Und Prinz Josua, wenn er noch lebt«, sagte Dinivan besorgt. »Ja, fürwahr ein höchst empfindliches Gleichgewicht. Und Ihr wisst, dass der Lektor nichts tun kann, um es zu erschüttern.«
Eolair nickte langsam. »Das weiß ich.«
»Warum also seid Ihr zu mir gekommen?«, erkundigte sich Dinivan freundlich.
»Ich bin mir
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