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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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nicht ganz sicher. Doch eines möchte ich Euch sagen: Es hat den Anschein, als braue sich lediglich irgendein Streit zusammen, wie es oft vorkommt; aber ich meinerseits fürchte, dass es tiefer geht als das. Ihr mögt mich für verrückt halten, aber ich ahne, dass ein Zeitalter zu Ende geht, und ich habe Angst vor dem, was das Kommende bringt.«
    Der Sekretär des Lektors starrte ihn an. Einen Augenblick sahen seine schlichten Züge viel älter aus, als grüble er über Sorgen, die er lange mit sich herumgetragen hätte.
    »Ich will Euch gestehen, dass ich Eure Befürchtungen teile, Graf Eolair«, erwiderte er endlich. »Doch kann ich nicht für den Lektor sprechen, nur wiederholen, was ich vorhin sagte: Er ist ein weiser und einfühlsamer Mann.« Er strich über den Baum auf seiner Brust. »Um aber Euer Herz zu erleichtern, kann ich noch dieses hinzufügen: Herzog Leobardis hat noch keinen Entschluss gefasst, wem er seine Unterstützung gewähren will. Obwohl der Hochkönig ihm abwechselnd schmeichelt und droht, leistet Leobardis ihm Widerstand.«
    »Nun, das ist doch keine schlechte Nachricht«, meinte Eolair undlächelte vorsichtig. »Als ich dem Herzog heute Morgen begegnete, hielt er sehr auf Abstand, als fürchte er, man könne sehen, wie er mir zu aufmerksam zuhörte.«
    »Er muss vieles abwägen, ganz wie mein Gebieter auch«, erwiderte Dinivan. »Aber ich will Euch noch etwas verraten – und das ist absolut vertraulich. Heute Morgen habe ich Baron Devasalles zu Lektor Ranessin geführt. Der Baron steht im Begriff, zu einer Gesandtschaft aufzubrechen, die sowohl für Leobardis als auch für meinen Herrn sehr viel bedeutet und viel mit der Entscheidung zu tun hat, in welche Waagschale Nabban bei einem Konflikt seine Macht werfen wird. Mehr als das kann ich nicht sagen, aber ich hoffe, dass es Euch ein wenig weiterhilft.«
    »Mehr als nur ein wenig«, antwortete Eolair. »Ich danke Euch für Euer Vertrauen, Dinivan.«
    Irgendwo in der Sancellanischen Ädonitis läutete tief und dunkel eine Glocke.
    »Die Claveïsche Glocke ruft die Mittagsstunde«, erklärte Vater Dinivan. »Kommt, wir wollen etwas zu essen und einen Krug Bier finden und über angenehmere Dinge reden.« Ein Lächeln huschte über seine Züge und machte ihn wieder jung. »Wisst Ihr, dass ich einmal durch Hernystir gereist bin? Euer Land ist wirklich schön, Eolair.«
    »Obwohl es ihm ein wenig an Steinbauten fehlt?«, entgegnete der Graf und klopfte an die Wand von Dinivans Zimmer.
    »Genau das ist einer seiner Reize«, lachte der Priester und geleitete ihn zur Tür hinaus.

    Der Bart des alten Mannes war weiß und so lang, dass er ihn in den Gürtel steckte, wenn er längere Strecken zu Fuß gehen musste – was er nun schon mehrere Tage lang getan hatte. Sein Haar war nicht dunkler als der Bart. Selbst seine Kapuzenjacke und die Beinlinge bestanden aus dem dicken Pelz eines weißen Wolfes. Die Haut des Tieres war sorgfältig abgezogen worden; seine Vorderpfoten kreuzten sich über der Brust des Mannes, und der kiefernlose, auf eineEisenhaube genagelte Kopf saß auf seiner Stirn. Ohne die roten Kristallsplitter in den Augenhöhlen des Wolfes und die grimmigen blauen Augen des Mannes darunter wäre er nur ein weiterer weißer Fleck im verschneiten Forst zwischen dem Drorshull-See und den Bergen gewesen.
    Das Stöhnen des Windes in den Wipfeln wurde stärker, und von den Ästen der hohen Kiefer, unter der der Mann kauerte, fiel eine Schneewehe auf ihn herab. Er schüttelte sich ungeduldig wie ein Tier, und dünner Nebel bildete sich um ihn herum, in dem sich kurz das matte Licht der Sonne zu einem winzigen Regenbogen brach. Der Wind sang weiter sein klagendes Lied, und der alte Mann in Weiß griff neben sich und fasste nach etwas, das auf den ersten Blick wie ein weiterer Klumpen Weiß aussah – ein schneebedeckter Stein oder Baumstumpf. Er hielt es in die Höhe, wischte das pudrige Weiß ab und hob dann eine Tuchdecke an der Vorderseite gerade so hoch, dass er hineinspähen konnte.
    Er flüsterte etwas in die Öffnung und wartete. Dann runzelte er kurz die Brauen, als sei er verärgert oder beunruhigt. Er setzte den Gegenstand wieder hin, stand auf und schnallte den Gürtel aus gebleichtem Rentierleder ab. Vom mageren, wettergegerbten Gesicht schob er die Kapuze zurück und zog dann den Wolfspelzmantel aus. Das ärmellose Hemd, das er darunter trug, war von der Farbe der Jacke, die Haut der sehnigen Arme kaum dunkler; aber auf dem rechten

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