Der Drachenbeinthron
hattest.«
»Usires!« Ihm war, als hätte sein Körper ihn verraten. »Und man hat Marya fortgeschickt?«
Binabik streckte besänftigend die Hand aus den Laken. »Mir ist nichts Derartiges bekannt. Es war nur eine Annahme. Genauso gut kann sie noch hier sein – vielleicht bei den Frauen oder im Quartier der Dienstboten. Schließlich ist sie ja auch eine Dienerin.«
Simon machte ein finsteres Gesicht. Binabik nahm sanft wieder die Hand des Jungen, die dieser vor Aufregung weggezogen hatte. »Hab Geduld, Simon-Freund«, mahnte der Troll. »Du hast eine Heldentat getan, bis hierher zu gelangen. Wer weiß, was als Nächstes geschehen wird?«
»Du hast recht … wahrscheinlich …« Er holte tief Atem.
»Und mir hast du das Leben gerettet«, erklärte Binabik.
»Ist das nicht wichtig?« Simon streichelte geistesabwesend die kleine Hand und stand auf. »Du hast mir auch schon mehrmals das Leben gerettet. Freunde sind Freunde.«
Binabik lächelte, aber seine Augen waren müde. »Freunde sind Freunde«, stimmte er zu. »Und wenn wir schon davon sprechen: Ich muss nun wieder schlafen. In den Tagen, die vor uns liegen, wird es Wichtiges zu tun geben. Würdest du nach Qantaqa sehen und danach, wie sie untergebracht ist? Strangyeard wollte sie zu mir bringen, aber ich fürchte, es ist seinem vielbeschäftigten Haupt entfleucht wie eine Daunenfeder aus einem«, er klopfte das seine, »… Kissen.«
»Gewiss«, antwortete Simon und öffnete schon die Tür. »Weißt du denn, wo sie ist?«
»Strangyeard sagte … in den Ställen«, erwiderte Binabik gähnend und schloss die Augen.
Als Simon den Innenhof betrat und einen Augenblick stehenblieb, um den Vorübergehenden zuzuschauen, Höflingen, Dienern, Klerikern, von denen niemand ihm auch nur die geringste Beachtung schenkte, wurden ihm urplötzlich zwei Dinge klar.
Erstens, dass er keine Ahnung hatte, wo die Stallungen lagen. Zweitens, dass er sehr, sehr hungrig war. Vater Strangyeard hatte etwas davon erwähnt, dass man ihm aufgetragen hätte, sich um Simon zu kümmern, aber der Priester war verschwunden. Wirklich ein närrischer alter Knabe!
Auf einmal erspähte Simon auf der anderen Seite des Hofes ein bekanntes Gesicht. Er lief darauf zu und hatte schon ein paar Schritte zurückgelegt, als ihm der dazugehörige Name einfiel.
»Sangfugol!«, rief er, und der Harfner blieb stehen und schaute sich um. Er sah Simon heraneilen und beschattete mit der Hand die Augen, blickte jedoch immer noch fragend, als der Junge vor ihm zum Stehen kam.
»Ja?«, fragte er. Er war in ein reiches, lavendelblaues Wams gekleidet, und das dunkle Haar quoll anmutig unter einer mit passenden Federn besetzten Mütze hervor. Selbst in seinen sauberen Sachen kam Simon sich gegenüber dem höflich lächelnden Musikanten schäbig vor. »Hast du eine Botschaft für mich?«
»Ich bin Simon. Wahrscheinlich erinnert Ihr Euch nicht mehr an mich. Wir haben beim Leichenschmaus auf dem Hochhorst miteinander gesprochen.«
Sangfugol starrte ihn einen weiteren Moment lang mit leicht gerunzelter Stirn an, dann hellte sich sein Gesicht auf. »Simon! Ja, natürlich! Der beredte Mundschenk! Es tut mir aufrichtig leid, aber ich habe dich überhaupt nicht wiedererkannt. Du bist recht erwachsen geworden.«
»Wirklich?«
Der Harfner grinste. »Und ob! Jedenfalls hattest du das letzte Mal, als ich dich sah, noch nicht diesen Flaum im Gesicht.« Er streckte die Hand aus und nahm Simon beim Kinn. »Oder zumindest kann ich mich nicht daran erinnern.«
»Flaum?« Verwundert griff Simon nach oben und strich sich über die Wange. Sie fühlte sich tatsächlich pelzig an … aber weich, wie das Haar auf seinen Unterarmen.
Sangfugols Lippen zuckten, und er fing an zu lachen »Wie konnte dir das entgehen? Als mir zuerst der Bart des Mannes wuchs, stand ich jeden Tag bei meiner Mutter vor dem Spiegel, um nachzusehen,wie er sich entwickelte.« Er legte die Hand an die glattrasierte Wange. »Und heute schabe ich ihn mir jeden Morgen fluchend ab, damit mein Gesicht weich ist – für die Damen.«
Simon spürte, dass er rot wurde. Wie hinterwäldlerisch er wirken musste! »Ich habe eine Zeitlang keine Spiegel um mich gehabt.«
»Hmmm.« Sangfugol betrachtete ihn von Kopf bis Fuß. »Größer bist du auch, wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt. Was führt dich nach Naglimund? Nicht, dass ich es mir nicht denken könnte. Hier sind viele, die aus dem Hochhorst geflohen sind, nicht zuletzt mein Herr selbst, Prinz
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