Der Drachenbeinthron
niedrigen, mit Pergament und allerlei Krimskrams bedeckten Tisch war der Stuhl das einzige Möbelstück im Raum. Als er es sich bequem gemacht hatte, beugte der Fremde sich vor und klopfte Simon sanft auf die Hand.
»Wie geht es dir? Hoffentlich besser?«
»Ja … ja, ich glaube schon.« Simon schaute sich um. »Wo bin ich hier eigentlich?«
»In Naglimund, aber das hast du dir sicher schon gedacht.« Vater Strangyeard lächelte. »Genauer gesagt, in meinem Zimmer … und auch in meinem Bett.« Er hob die Hand. »Ich hoffe, du hast dich darin wohlgefühlt. Besonders bequem ist es nicht … aber meine Güte, wie töricht von mir! Du hast ja draußen im Wald geschlafen!« Der Priester zeigte ein weiteres, zögerndes lächeln. »Und besser als der Wald wird es schon sein, oder?«
Simon schwang die Füße auf den kalten Boden. Erleichtert stellte er fest, dass er Hosen anhatte, war jedoch etwas verwirrt, als er merkte, dass es nicht seine eigenen waren.
»Wo sind meine Freunde?« Ein dunkler Gedanke zog auf wie eine Wolke. »Binabik … ist er tot?«
Strangyeard kniff die Lippen zusammen, als hätte Simon eine milde Gotteslästerung geäußert. »Tot? Lob sei Usires, nein – obwohl es ihm nicht gutgeht, gar nicht gut.«
»Darf ich zu ihm?« Simon rutschte auf die Steinfliesen hinunter, um seine Stiefel zu suchen. »Wo ist er? Und wie geht es Marya?«
»Marya?« Der Priester sah mit ratloser Miene zu, wie Simon auf dem Boden herumkroch. »Ah, deiner anderen Gefährtin. Ihr geht es bestens. Zweifellos wirst du sie auch bald wiedersehen.«
Die Stiefel befanden sich unter dem Schreibtisch. Als Simon sie anzog, griff Vater Strangyeard hinter sich und nahm von der Stuhllehne ein sauberes weißes Hemd.
»Hier«, sagte er. »Himmel, hast du es aber eilig. Möchtest du gleich deinen Freund besuchen oder erst etwas essen?«
Simon war schon dabei, das Hemd vorne zuzunesteln. »Binabik und Marya, dann essen«, brummte er, ganz auf diese Arbeit konzentriert. »Qantaqa natürlich auch.«
»So schwer die Zeiten letzthin auch gewesen sein mögen«, bemerkte der Priester im Ton milden Vorwurfes, »wir essen nie Wölfe in Naglimund. Ich ging davon aus, dass du sie zu deinen Freunden zähltest.«
Simon blickte auf und begriff, dass der Einäugige einen Scherz machte.
»Ja«, erwiderte er und fühlte sich plötzlich schüchtern. »Eine echte Freundin.«
»Dann wollen wir gehen«, erklärte der Priester und stand auf. »Man hat mir aufgetragen, mich darum zu kümmern, dass du alles hast, was du brauchst. Je eher ich dich also zum Essen bringe, desto besser habe ich meine Aufgabe erfüllt.« Er machte die Tür auf und ließ eine neue Welle von Sonnenschein und Lärm eindringen.
Simon blinzelte im hellen Licht. Er sah hinauf zu den hohen Mauern der Festung und den dahinter aufragenden purpurroten und braunen Weiten des Weldhelms, vor denen die graugekleideten Posten wie Zwerge aussahen. Inmitten der Burganlage stand eine massive Ansammlung kantiger Steinbauten, plump nebeneinandergestellt, ohne die exzentrische Schönheit des Hochhorstes mit seinem Kontrast der Stilrichtungen und Zeitalter. Die dunklen, vom Rauch streifigen Sandsteinwürfel, die kleinen, lichtlosen Fenster und schweren Türen sahen aus, als seien sie nur für einen Zweck geschaffen: irgendetwas am Eindringen zu hindern.
Kaum einen Steinwurf weit entfernt, mitten im Gewimmel des Burghofes, spaltete ein Trupp hemdloser Männer einen Stapel Holzbalken und schichtete die Scheite auf einen Stoß, der bereits so hoch war wie ihre Köpfe.
»Also daher der Lärm«, meinte Simon und sah zu, wie die Äxte blitzten und fielen. »Was machen sie da?«
Vater Strangyeard wandte sich um und folgte seinem Blick. »Aah. Einen Scheiterhaufen bauen sie. Um den Hune zu verbrennen – den Riesen.«
»Den Riesen?« Jäh fiel Simon alles wieder ein, das knurrend verzogene, lederartige Gesicht, die unendlich langen Arme, die auf ihn einschlugen. »Ist er nicht tot?«
»O doch, ganz und gar tot, ja.« Strangyeard steuerte auf die Hauptgebäude zu; Simon marschierte hinterher und warf heimlich einen letzten Blick auf den immer höher werdenden Holzstoß.
»Weißt du, Simon, ein paar von Josuas Männern wollten ein Schauspiel daraus machen, verstehst du, den Kopf abschneiden und auf das Tor stecken und solche Dinge. Der Prinz hat nein gesagt. Er meinte, der Riese sei wohl ein bösartiges Geschöpf gewesen, aber kein Tier. Sie tragen eine Art Kleidung, wusstest du das? Und sie haben
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