Der Drachenbeinthron
und zerschmetterte Körper flogen nach allen Seiten; einer traf Simon und warf ihn zu Boden, sodass ihm die Fackel aus der Hand flog. Aber für jeden, der fortgeschleudert wurde, sprangen fünf neue herbei.
Als Simon auf die Fackel zukroch, im Kopf ein wilder Wirbel aus wahnsinnigen Fieberfantasien, leuchteten plötzlich überall Lichter auf. Die Riesengestalt des Ungeheuers schwankte brüllend über die Lichtung; Männer kamen, Pferde bäumten sich, alles schrie. Etwas Dunkles sprang über Simon hinweg und schlug ihm zum zweiten Mal die Fackel aus der Hand. Kurz hinter ihm kam das Pferd rutschend zum Stehen.
Der Reiter stand in den Bügeln, und sein langer Speer blitzte zwischen Dunkelheit und Fackelschein hin und her. Gleich darauf war der Speer ein großer schwarzer Nagel, der aus der Brust des bedrängten Riesen ragte. Das Ungeheuer stieß ein letztes, bebendes Brüllen aus und glitt zu Boden, unter die wogende Decke der Hunde.
Der Reiter stieg ab. An ihm vorbei rannten Männer mit Fackeln, um die Hunde zurückzuzerren. Das Licht schien auf das Profil des Reiters, und Simon versuchte sich aufzurichten.
»Josua!«, rief er und stürzte vornüber. Das letzte, was er sah, war das hagere Gesicht des Prinzen, vom gelben Licht der Fackelflammen umflossen, mit vor Überraschung geweiteten Augen.
Zeit kam und ging in unruhigen Augenblicken von plötzlichem Erwachen und Umnachtung. Er saß auf einem Pferd, vor einem schweigenden Mann, der nach Leder und Schweiß roch. Der Armdes Mannes war ein starker Reif um Simons Mitte, als sie die Steige hinaufschwankten.
Die Pferdehufe klapperten auf Stein, und Simon merkte, dass er den wehenden Schweif des Pferdes vor ihm beobachtete. Überall waren Fackeln.
Er suchte nach Marya, nach Binabik und den anderen … wo waren sie nur?
Jetzt umgab ihn auf allen Seiten eine Art Tunnel. Die Steinwände hallten wider vom pochenden laut der Herzschläge. Nein, der Hufschläge.
Der Tunnel schien kein Ende zu haben. Vor ihnen ragte eine in den Stein gehauene gewaltige Holztür auf. Langsam schwang sie nach außen, Fackelschein flutete hervor wie Wasser aus einem geborstenen Damm, und im herausdringenden Licht des Eingangs standen die Gestalten vieler Männer.
Nun waren sie im Freien, stiegen einen langen Hang hinunter, ein Pferd hinter dem anderen, eine glitzernde Schlange aus Fackeln, die sich den Pfad hinabwand, so weit das Auge reichte. Um sie herum war ein Feld aus kahler Erde, mit nichts bepflanzt als mit nackten Eisenstangen.
Unter ihnen waren die Wälle von noch viel mehr Fackeln gesäumt.
Die Posten blickten zu der Prozession hinauf, die da von den Bergen herunterkam. Vor ihnen lagen die steinernen Mauern, bald in gleicher Höhe, bald langsam über ihren Köpfen ansteigend, während sie dem Pfad bergab folgten. Der Nachthimmel war dunkel wie das Innere eines Fasses, jedoch gespickt mit Sternen. Simons Kopf wackelte, und er merkte, wie er von neuem in den Schlaf glitt – oder in den dunklen Himmel, er wusste es nicht recht.
Naglimund, dachte er noch, als sich Fackelschein über sein Gesicht ergoss und die Männer oben auf den Wällen riefen und sangen.
Dann stürzte er aus dem Licht, und Dunkelheit legte sich über ihn wie schwarzer Staub.
Dritter Teil Simon Schneelocke
30
Tausend Nägel
it Äxten schlugen sie die Tür ein – hackten, hieben, zersplitterten das schützende Holz. »Doktor!«, schrie Simon und fuhr voller Schreck in die Höhe, »die Soldaten! Die Soldaten sind da!« Aber er war gar nicht in Morgenes’ Wohnung. Er lag, in schweißgetränkte Laken gehüllt, auf einem schmalen Bett in einer kleinen, ordentlichen Kammer. Das Geräusch Holz spaltender Klingen dauerte an; gleich darauf öffnete sich die Tür, und der Lärm verstärkte sich noch. Um die Ecke spähte ein unbekanntes Gesicht, blass und mit langem Kinn, darüber ein spärlicher Haarschopf, der im Sonnenlicht so kupferrot aufglänzte wie Simons eigener. Das eine sichtbare Auge war blau. Das andere bedeckte eine schwarze Klappe.
»Aah!«, sagte der Fremde, »du bist wach. Gut.« Seiner Aussprache nach war er ein Erkynländer, wenn auch mit einem Hauch nördlicher Schwerfälligkeit auf der Zunge. Er schloss die Tür hinter sich und schnitt damit einen Teil des Arbeitslärms von draußen ab. Seine lange, graue Priesterkutte hing schlaff an der mageren Gestalt herunter.
»Ich bin Vater Strangyeard.« Er ließ sich auf einem hochlehnigen Stuhl neben Simon nieder; abgesehen von dem Bett und einem
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