Der Drachenbeinthron
zu brechen.
»Doktor Morgenes’ Buch?«, soufflierte Simon.
»Oh! Ach ja … nun, worum ich dich bitten wollte … und bestimmt ist es zu viel verlangt … Binbines hat gesagt, das Manuskript sei gerettet, du hättest es mitgebracht … in deinem Rucksack.«
Simon verbarg ein Lächeln. Der Mann brauchte ja ewig! »Ich weiß nicht, wo der Rucksack ist.«
»Oh, der liegt unter meinem Bett – beziehungsweise derzeit deinem Bett. Das heißt, dein Bett, solange du es haben willst. Ich habe gesehen, wie einer der Männer aus dem Gefolge des Prinzen ihn dorthin gelegt hat. Ich habe ihn nicht angerührt, das versichere ich dir!«, beeilte er sich hinzuzufügen.
»Möchtet Ihr es lesen?« Die Ernsthaftigkeit des alten Mannes rührte Simon. »Ihr solltet es tun, und ich bin zu müde, um es mir jetzt anzuschauen. Außerdem bin ich überzeugt, dass der Doktor es lieber von einem gelehrten Mann gewürdigt sehen würde, und das bin ich gewiss nicht.«
»Wirklich?« Strangyeard schien von dieser Aussicht ganz geblendet und fingerte nervös an seiner Augenklappe herum. Er sah aus, als würde er sie gleich herunterreißen und mit einem Freudenjauchzer in die Lüfte werfen. Aber es kam nur ein »Oh, das wäre herrlich« über seine Lippen, während er um Fassung rang.
Simon war ein wenig unbehaglich zumute. Schließlich hatte der Archivar ihm seine eigene Kammer geräumt, damit er, ein Fremder, darin wohnen konnte. Es war ihm peinlich, dass ihm der andere so dankbar war.
Nun ja, entschied er, er dankt ja nicht mir, denke ich, sondern dem Glück, dass er Morgenes’ Werk über König Johan lesen darf. Der Mann liebt eben Bücher wie Rachel Wasser und Seife.
Sie hatten das niedrige Gebäude mit den Kammern an der Südmauer fast erreicht, als eine Gestalt vor ihnen auftauchte – ein Mann,der im Nebel und dem rasch schwindenden Licht nicht genau zu erkennen war. Ein leises, bimmelndes Geräusch ging von ihm aus, als er näherkam.
»Ich will zu Strangyeard, dem Priester«, erklärte er, und seine Stimme schwankte mehr als nur ein wenig. Er schien zu taumeln, und wieder ertönte das klingelnde Geräusch.
»Ich bin er«, sagte Strangyeard etwas lauter als gewöhnlich, »ähem … das heißt, das bin ich. Was begehrt Ihr?«
»Ich suche einen gewissen jungen Mann«, antwortete der andere und kam ein paar weitere Schritte auf sie zu. »Ist er das?«
Simon spannte die Muskeln an, konnte jedoch nicht umhin zu bemerken, dass der Herannahende nicht besonders groß war. Außerdem war da etwas an seinem Gang …
»Ja«, sagten Simon und Strangyeard gleichzeitig, dann verstummte der Priester und zupfte zerstreut am Band seiner Augenklappe, während Simon fortfuhr: »Was wünscht Ihr?«
»Der Prinz will dich sprechen«, erwiderte die kleine Gestalt, kam bis auf wenige Fuß heran und spähte zu Simon hinauf. Er bimmelte sanft vor sich hin.
»Strupp!«, rief Simon beglückt. »Strupp! Was tut Ihr hier?« Er streckte die Arme aus und ergriff die Schultern des Alten.
»Wer bist du denn?«, fragte der Narr verblüfft. »Kenne ich dich?«
»Ich weiß nicht – ich bin Simon! Der Lehrling von Doktor Morgenes. Vom Hochhorst!«
»Hmmm«, meinte der Narr nachdenklich. Aus der Nähe roch er nach Wein. »Vermutlich … es kommt mir alles so trübe vor, Junge, trübe. Strupp wird alt, wie der alte König Tethtain – mit schneebedecktem Haupte und verwittert wie der ferne Berg Minari.« Er kniff die Augen zusammen. »Und ich habe nicht mehr so scharfe Augen für Gesichter wie einst. Bist du es, den ich zu Prinz Josua bringen soll?«
»Ich nehme es an.« Simons Stimmung hatte sich gehoben. »Sangfugol muss mit ihm geredet haben.« Er wandte sich Vater Strangyeard zu. »Ich muss mit ihm gehen. Den Rucksack habe ich nicht angefasst – wusste gar nicht, dass er dort war.«
Der Archivar bedankte sich nochmals und schlurfte davon, umnach seiner Beute zu sehen. Simon nahm den alten Narren beim Ellenbogen, und die beiden schlugen wieder den Weg über den Burganger ein.
»Puh«, sagte Strupp zitternd, und wieder klingelten die Glöckchen an seiner Jacke. »Die Sonne stand heute hoch, aber der Abendwind ist bitterkalt. Schlechtes Wetter für alte Knochen – keine Ahnung, wieso Josua mich geschickt hat.« Er stolperte leicht und stützte sich einen Moment auf Simons Arm. »Aber das stimmt eigentlich doch nicht«, fuhr er fort, »denn ich weiß, dass er mir gern etwas zu tun gibt. Für meine Narreteien und Kunststücke hat er nicht viel übrig,
Weitere Kostenlose Bücher