Der Drachenbeinthron
Abend eine Ratsversammlung geben.«
»Das hat er dir erzählt?« Simon war einerseits enttäuscht, dass Josua sich nicht nur ihm anvertraut hatte, andererseits aber auch ein wenig erleichtert, dass ein anderer diese Verantwortung mit ihm teilte. »Wirst du daran teilnehmen?«
»Als Einziger meines Volkes, der je in den Mauern von Naglimund weilte? Als Lehrling Ookequks, des Singenden Mannes der Mintahoq-Trolle? Natürlich werde ich daran teilnehmen. Und du auch.«
»Ich?« Simon war ganz erschüttert. »Wieso ich? Was im Namen des guten Gottes sollte ich bei einem … Kriegsrat? Ich bin kein Soldat. Ich bin ja noch nicht einmal ein erwachsener Mann!«
»Fest steht jedenfalls, dass du dich auch nicht beeilst, einer zu werden.« Binabik machte ein spöttisches Gesicht. »Aber selbst du kannst dich gegen das Erwachsenwerden nicht für immer wehren. Außerdem sind deine Jahre hier nicht von Bedeutung. Du hast Dinge gehört und gesehen, die vielleicht wichtig sind, und Josua würde dich dabeihaben wollen.«
»Er würde? Hat er denn nicht nach mir gefragt?«
Der Troll pustete sich ungeduldig die Haare aus der Stirn. »Nicht mit Direktheit … aber er hat mich aufgefordert, und ich werde dich auf jeden Fall mitnehmen. Josua weiß nicht, was du alles gesehen hast.«
»Gottes Blut, Binabik!«
»Bitte fluche mir nicht mit ädonitischen Schwüren! Nur weil du jetzt einen Bart hast … beinahe jedenfalls … macht das noch keinen Mann aus dir, der fluchen müsste. Doch nun gewähre mir ein wenig Stille, um die Knöchel zu werfen; dann habe ich weitere Neuigkeiten für dich.«
Besorgt und voller Unruhe setzte Simon sich wieder. Und wenn sie ihm nun Fragen stellten? Würde man ihn auffordern, vor allen diesen Baronen und Herzögen und Heerführern zu sprechen? Ihn, einen davongelaufenen Küchenjungen?
Binabik summte leise vor sich hin und schüttelte die Knöchel so sanft wie ein Soldat in der Schenke die Würfel. Sie klickten und rollten dann frei über den Schieferboden. Binabik sah nach, wie sie lagen, und warf sie dann noch zweimal. Mit gespitztem Mund starrte er auf den letzten Wurf.
»Wolken im Pass … « , meinte er schließlich sinnend. »Flügelloser Vogel … Schwarze Spalte.« Mit der Rückseite seines Ärmels wischte er sich den Mund ab und schlug sich einmal mit dem Handballen auf die Brust. »Was soll ich mit solch einer Geschichte anfangen?«
»Hat es eine Bedeutung?«, wollte Simon wissen. »Was sind das für Worte, die du gesagt hast?«
»Es sind die Namen für bestimmte Würfe … bestimmte Muster. Dreimal werfen wir, und jeder Wurf bedeutet etwas anderes.«
»Das … verstehe ich nicht. Kannst du es mir erklären?«, fragte Simon und wäre beinahe umgekippt, als Qantaqa sich an ihm vorbeidrängte, um den Kopf auf Binabiks flachen Schenkel zu legen.
»Hier«, begann der Troll, »der erste: Wolken im Pass . Das bedeutet, dass es schwer ist, von dort, wo wir jetzt stehen, in die Ferne zu sehen, dass es aber weiter jenseits davon ganz anders ist als hier.«
»Das hätte ich dir auch sagen können.«
»Schweig, Trolling. Willst du für immer töricht bleiben? Dann kam Flügelloser Vogel. Der zweite Wurf ist etwas, das günstig für uns ist. Hier sieht es so aus, als könne gerade unsere Hilflosigkeit für uns von Nutzen sein, so jedenfalls lese ich es heute aus den Knochen. Das letzte ist etwas, vor dem wir uns hüten sollten …«
»Oder fürchten?«
»Oder fürchten«, stimmte Binabik gelassen zu. »Schwarze Spalte – das ist etwas ganz Seltsames, etwas, das ich noch nie für mich geworfen habe. Es könnte Verrat bedeuten.«
Simon holte tief Luft und erinnerte sich. »So wie Falscher Bote?«
»Wahr. Aber es hat noch andere Bedeutungen … ungewöhnliche Bedeutungen. Mein Meister lehrte mich, dass es auch für Dinge stehen kann, die von anderen Orten kommen, von anderen Seiten zu uns durchbrechen … also bezieht es sich vielleicht auf die Geheimnisse, auf die wir gestoßen sind … die Nornen, deine Träume … begreifst du?«
»Ein wenig.« Er stand auf, reckte sich und sah sich nach seinem Hemd um. »Und was ist mit deinen anderen Neuigkeiten?«
Der Troll, der gedankenverloren Qantaqas Rücken streichelte, brauchte eine Weile, bis er aufschaute.
»Ach ja«, sagte er dann und griff in seine Jacke. »Ich habe etwas für dich zum Lesen.«
Er zog eine flachgedrückte Pergamentrolle hervor und reichte sie Simon. Der Junge spürte ein Prickeln auf seiner nackten Haut.
Die Schrift war spröde
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