Der Drachenbeinthron
und grazil zugleich, nur ein paar Worte in der Mitte des entrollten Bogens.
Für Simon
Meinen Dank für deine Tapferkeit auf unserer Reise. Möge der Gute Gott dir stets Glück gewähren, Freund.
Die Unterschrift bestand aus dem einen Buchstaben M.
»Von ihr«, sagte er langsam. Er wusste nicht, ob er enttäuscht oder beglückt war. »Es ist von Marya, nicht wahr? Ist das alles, was sie dir mitgegeben hat? Hast du sie gesehen?«
Binabik nickte mit dem Kopf. Er sah traurig aus. »Ich habe sie gesehen, aber nur einen Augenblick. Sie hat auch gesagt, wir würden sie vielleicht öfter treffen, aber es gäbe Dinge, die zuerst getan werden müssten.«
»Was für Dinge? Sie macht mich zornig … nein, so meine ich das gar nicht. Ist sie hier in Naglimund?«
»Sie hat mir die Botschaft gegeben, oder nicht?« Binabik kam unsicher auf die Füße, aber Simon war so in seinen Gedanken versunken, dass er nicht darauf achtete. Sie hatte geschrieben! Sie hatte ihn nicht vergessen!! Andererseits hatte sie nicht gerade viel geschrieben, und besucht hatte sie ihn auch nicht, um mit ihm zu reden, irgendetwas …
Usires rette mich, heißt das, dass ich verliebt bin? , fragte er sich plötzlich verwundert. Es war ganz anders in den Balladen, die er gehört hatte – eher ärgerlich als erhebend. Er hatte einmal geglaubt, in Hepzibah verliebt zu sein. Allerdings hatte er viel an sie gedacht, aber diese Gedanken galten vornehmlich ihrem Äußeren, ihrem Gang. Von Marya wusste er zwar auch ganz genau, wie sie aussah, aber genauso oft fragte er sich, was sie dachte.
Was sie denkt! Er war von sich selbst angewidert. Ich weiß nicht einmal, woher sie kommt, geschweige denn, woran sie vielleicht denkt! Ich weiß nicht das Geringste von ihr … und wenn sie etwas für mich übrighat, dann hat sie sich jedenfalls nicht die Mühe gemacht, es in ihrem Brief zu erwähnen. Und das war weiter nichts als die Wahrheit, er wusste es.
Aber sie hat gesagt, ich sei tapfer. Sie nannte mich Freund. Er blickte vom Pergament auf und sah, dass Binabik ihn scharf betrachtete. Der Troll machte eine düstere Miene, aber Simon wusste nicht, warum.
»Binabik«, begann er, aber dann fiel ihm keine Frage ein, deren Antwort seine trüben Gedanken wieder hätte klären können. »Na schön«, meinte er endlich, »weißt du, wo der Hauptmann der Wache sitzt? Ich muss mir ein Schwert beschaffen.«
Die Luft war feucht, und über ihnen hing ein schwerer, grauer Himmel, als sie nach der äußeren Burganlage gingen. Durch das Tor zur Stadt strömte eine sich drängende Menschenmenge, zum Teil mit Gemüse, Flachs und anderen zum Verkauf bestimmten Waren beladen, während andere klapprige Karren zogen, auf denen die klägliche Gesamtheit ihrer Habe aufgestapelt zu sein schien. Simons Begleiter, der winzige Troll und die gewaltige gelbäugige Wölfin, machten auf diese Ankömmlinge nicht wenig Eindruck. Einige zeigten mit den Fingern und riefen in ihrer bäuerlichen Mundart besorgte Fragen, andere wichen zurück und machten das schützende Zeichen des Baumes auf der in grobes Tuch gehüllten Brust. In allen Gesichtern stand Furcht – Furcht vor dem Andersartigen, Furcht vor den schlimmen Zeiten, die in Erkynland eingezogen waren. Simon war hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, ihnen zu helfen, und dem, ihre schlichten, kummervollen Gesichter nicht ansehen zu müssen.
An dem Wachhaus, einem Teil des Torgebäudes der äußeren Burganlage, verabschiedete sich Binabik, der Vater Strangyeard in der Burgbibliothek einen Besuch abstatten wollte. Gleich darauf stand Simon vor dem Hauptmann der Wache, einem erschöpft und abgekämpft aussehenden jungen Mann, der sich seit Tagen nicht rasiert hatte. Er war barhäuptig und hatte seinen kegelförmigen Helm mit Rechensteinen gefüllt, mit denen er die Aufgebote der fremden Truppen auszählte, die sich nach und nach auf der Burg eingefunden hatten. Man hatte ihm Simon bereits angekündigt. Der Junge fühlte sich recht geschmeichelt, dass der Prinz an ihn gedacht hatte. Der Hauptmann übergab ihn der Obhut eines bärenhaften Wachsoldaten namens Haestan, der aus dem erkynländischen Norden stammte.
»Noch nicht ganz ausgewachsen, wie?«, knurrte Haestan und zupfte sich am lockigen braunen Bart, während er Simons schlaksigeGestalt musterte. »Bogenschütze, denk ich … ja, das wird es sein. Ein Schwert besorgen wir dir auch, aber das wird nicht groß genug sein, um viel auszurichten. Der Bogen … das ist es.«
Gemeinsam
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