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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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um Rettung, um die Hilfe Gottes; aber keine Hand fing ihn auf, als er durch das kalte Firmament dahinraste …
    Hullnir, am östlichen Ufer des langsam zufrierenden Sees, war ein Ort, an dem es nicht einmal mehr Geister gab. Halb unter Schneewehen begraben, die Hausdächer abgedeckt von Wind und Hagel, lag es wie der Leichnam eines verhungerten Elches unter dem dunklen, gleichgültigen Himmel.
    »Haben Skali und seine Raben dem ganzen Nordland so schnell das Leben geraubt?«, fragte Sludig mit großen Augen.
    »Wahrscheinlich sind sie bloß alle vor diesem späten Frost geflohen«, meinte Grimmric und zog unter dem schmalen Kinn den Mantel enger. »Zu kalt hier, zu weit weg von den Straßen.«
    »Es ist anzunehmen, dass es in Haethstad genauso aussieht«, fügte Binabik hinzu und trieb Qantaqa wieder den Hang hinauf. »Gut ist es, dass wir nicht planten, unterwegs Vorräte zu finden.«
    Hier, am anderen Ende des Sees, begannen die Berge allmählich zurückzuweichen, und ein riesiger Arm des nördlichen Aldheorte streckte sich aus, die letzten niedrigen Hänge in seinen Mantel zu hüllen. Hier sah es anders aus als im südlichen Teil des Forstes, den Simon kannte – und das nicht nur des Schnees wegen, der den Waldboden wie ein Teppich bedeckte und alle Geräusche ihres Rittesverschluckte. Hier standen die Bäume gerade und hoch, dunkelgrüne Kiefern und Fichten, die in ihren weißen Mänteln aufragten wie Säulen und die breiten, schattendunklen Durchlässe voneinander trennten. Die Reiter zogen dahin wie durch bleiche Katakomben, und der Schnee senkte sich auf sie wie die Asche von Jahrtausenden.

    »Da drüben ist jemand, Bruder Cadrach!«, zischte Miriamel und deutete mit dem Finger. »Dort! Seht Ihr es nicht glänzen – das ist Metall!«
    Cadrach setzte den Weinschlauch ab und glotzte. Seine Mundwinkel waren purpurrot verfärbt. Mit finsterem Gesicht schielte er in die angegebene Richtung, als wollte er lediglich ihrer Laune nachgeben. Gleich darauf wurde sein Stirnrunzeln tiefer.
    »Beim guten Gott, Ihr habt recht, Prinzessin«, flüsterte er. »Da drüben ist tatsächlich etwas.« Er reichte ihr die Zügel und ließ sich in das dichte grüne Gras hinuntergleiten. Eine Gebärde mahnte die Prinzessin zum Schweigen. Cadrach schlich vorwärts. Mit einem breiten Baumstamm als Deckung für seine fast ebenso kräftige Gestalt bewegte er sich bis auf etwa hundert Schritte an den glitzernden Gegenstand heran und spähte dann mit langem Hals um den Baum herum wie ein Kind beim Versteckspiel. Kurz darauf drehte er sich um und winkte ihr. Miriamel, die Cadrachs Ross mitführte, ritt hinüber.
    Es war ein Mann, der halb an den verzweigten Fuß einer Eiche gelehnt dalag, in einer Rüstung, die an einigen Stellen noch glänzte, so furchtbar zerhauen sie sonst auch war. Neben ihm im Gras waren der Griff eines zerspellten Schwertes und eine zerbrochene Stange zu erkennen, an der ein grünes Banner hing, das mit dem Weißen Hirsch, dem Wappen von Hernystir, bestickt war.
    »Elysia, Mutter Gottes!«, rief Miriamel und rannte auf ihn zu. »Lebt er noch?«
    Cadrach band rasch die Pferde an eine der gekrümmten Eichenwurzeln und trat dann zu ihr. »Das ist unwahrscheinlich.«
    »Aber es ist so!«, sagte die Prinzessin. »Hört doch … er atmet.«
    Der Mönch kniete nieder, um den Mann zu untersuchen, dessen Atem tatsächlich schwach aus der Höhlung des halbgeöffneten Helms drang. Cadrach klappte die Maske unter dem Flügelkamm nach oben und enthüllte ein schnurrbärtiges, unter Rinnsalen angetrockneten Blutes kaum noch kenntliches Gesicht.
    »O Hunde des Himmels«, seufzte Cadrach, »es ist Arthpreas – der Graf von Cuimnhe.«
    »Ihr kennt ihn?«, fragte Miriamel, die dabei war, in der Satteltasche nach dem Wasserschlauch zu suchen. Sie fand ihn und befeuchtete ein Stück Stoff mit dem Wasser.
    »Ich weiß, wer er ist, mehr nicht«, antwortete Cadrach und zeigte auf die beiden auf den zerfetzten Wappenrock des Ritters gestickten Vögel. »Er ist der Inhaber des Lehens von Cuimnhe, das in der Nähe von Nad Mullach liegt. Sein Zeichen sind die Zwillings-Wiesenlerchen.«
    Miriamel tupfte Arthpreas das Gesicht ab, während der Mönch vorsichtig die blutigen Risse in der Rüstung prüfte. Die Lider des Ritters zuckten.
    »Er wacht auf!«, rief die Prinzessin und zog scharf den Atem ein. »Cadrach, ich glaube, er bleibt am Leben!«
    »Nicht lange, Herrin«, erwiderte der kleine Mann ruhig. »Er hat eine Bauchwunde, so breit wie

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