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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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meine Hand. Lasst mich die letzten Worte für ihn sprechen, dann kann er in Frieden sterben.«
    Der Graf stöhnte. Ein wenig Blut rann über den Rand seiner Lippen. Miriamel wischte es ihm liebevoll vom Kinn. Seine Augen flatterten auf.
    »E gundhain sluith, ma connalbehn …« , murmelte der Ritter auf Hernystiri. Er hustete schwach, und neue Blutblasen traten auf seine Lippen. »Guter … guter Junge. Haben sie … den Hirsch?«
    »Was meint er?«, wisperte Miriamel. Cadrach deutete auf das zerrissene Banner im Gras unter dem Arm des Grafen.
    »Ihr habt ihn gerettet, Graf Arthpreas«, sagte sie und näherte ihr Gesicht dem seinen. »Er ist in Sicherheit. Was ist geschehen?«
    »Skalis Rabenkrieger … sie waren überall.« Ein langer Hustenanfall, und die Augen des Ritters öffneten sich weit. »Und meine tapferen Burschen … tot, alle tot … zerhackt wie … wie …« Arthpreasstieß ein schmerzhaftes, trockenes Schluchzen aus. Seine Augen starrten in den Himmel, langsam wandernd, als folgten sie dem Lauf der Wolken.
    »Und wo ist der König?«, fuhr er endlich fort. »Wo ist unser tapferer alter König? Die goirach Nordmänner waren überall um ihn herum, Brynioch verderbe sie, Brynioch na ferth ub … ub strocinh …«
    »Der König?«, flüsterte Miriamel. »Er muss Lluth meinen.«
    Plötzlich fiel der Blick des Grafen auf Cadrach und flammte auf, als finge ein Funken darin Feuer. »Padreic?« , fragte er und hob die zitternde, blutige Hand, um sie dem Mönch auf den Arm zu legen. Cadrach zuckte zusammen, als wollte er ihm ausweichen, aber seine Augen waren wie gefangen und schimmerten in seltsamem Glanz. »Bist du es, Padreic feir? Bist du … zurückgekommen?«
    Der Ritter erstarrte und stieß ein langes, rasselndes Husten aus, das die rote Flut hervorschießen ließ, als käme sie sie aus einem unterirdischen Quell. Gleich darauf rollten die Augen unter den dunklen Wimpern nach oben.
    »Tot«, sagte Cadrach wenig später, und seine Stimme klang harsch.
    »Möge Usires ihn erlösen und Gott seine Seele trösten.« Er schlug das Zeichen des Baumes über Arthpreas’ regloser Brust und stand auf.
    »Er nannte Euch Padreic«, bemerkte Miriamel und starrte geistesabwesend auf das Tuch in ihrer Hand, das jetzt tiefrot war.
    »Er hat mich verwechselt«, entgegnete der Mönch. »Ein Sterbender, der nach einem alten Freund Ausschau hielt. Kommt! Wir haben keine Schaufeln, um ihm ein Grab zu graben. Wenigstens wollen wir Steine suchen und ihn damit bedecken. Er war … es heißt, er war ein guter Mann.«
    Während Cadrach über die Lichtung davonging, zog Miriamel vorsichtig den Panzerhandschuh von Arthpreas’ Hand und wickelte ihn in das zerfetzte grüne Banner.
    »Bitte kommt und helft mir, Herrin!«, rief Cadrach. »Wir können uns hier nicht lange aufhalten.«
    »Ich komme gleich«, antwortete sie und steckte das Bündel in ihre Satteltasche. »So viel Zeit haben wir.«

    Simon und seine Gefährten legten langsam den weiten Weg rund um den See zurück. Sie folgten einer Halbinsel voller hoher Bäume und Schneewehen. Zur Linken lag der gefrorene Spiegel des Drorshull; die weißen Schultern des oberen Weldhelms ragten rechts von ihnen auf. Der Gesang des Windes war so laut, dass er jede Unterhaltung, die leiser war als ein kräftiger Ruf, erstickte. Simon ritt und sah auf Haestans breiten, dunklen Rücken, der vor ihm herschwankte, und es kam ihm vor, als seien sie alle einsame Inseln in einem kalten Meer: stets einer in des anderen Blickfeld, doch voneinander getrennt durch unüberbrückbare Weiten. Er merkte, wie seine Gedanken sich nach innen wandten, eingelullt vom gleichmäßigen Vorwärtsstapfen seines Pferdes.
    Merkwürdigerweise erschien vor seinem geistigen Auge Naglimund, das sie gerade erst verlassen hatten, bereits so verschwommen wie eine Erinnerung aus fernster Kinderzeit. Sogar Miriamels und Josuas Gesichter konnte er sich kaum noch vorstellen – es war, als versuchte er sich die Züge von Fremden zu vergegenwärtigen, deren Bedeutung man erst begriff, wenn sie schon lange nicht mehr da waren. Stattdessen erwachten lebhafte Erinnerungen an den Hochhorst – an lange Sommerabende auf dem Burganger, die Haut juckend von gemähtem Gras und von Insekten, oder an windige Frühlingsnachmittage, an denen er auf die Mauern geklettert war und der schwere Duft der Rosenhecken im Hof ihn berührt hatte wie ein paar warme Hände.
    Als er sich an den etwas feuchten Geruch der Wände erinnerte, die sein kleines

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