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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Grimmric, der die Lippen gespitzt und den Blick auf die tanzenden Flammen geheftet hatte und vor sich hin pfiff. Als er aufsah und Simons Blick auf sich spürte, schenkte der drahtige Erkynländer ihm ein schiefzahniges Lächeln.
    »Hab mich an was erinnert«, erklärte er. »Altes Winterlied.«
    »Welches denn?«, fragte Ethelbearn. »Sing es uns vor, Mann. Ein kleines Lied kann nicht schaden.«
    »Ja, sing«, half Simon nach.
    Grimmric sah zu Haestan und dem Troll hinüber, als fürchte er Einwände aus dieser Richtung, aber die beiden waren noch völlig in ihre Diskussion verstrickt. »Also gut«, meinte er. »Wird schon nicht schaden.« Er räusperte sich und schaute zu Boden, als mache ihn die plötzliche Aufmerksamkeit der anderen verlegen. »Ist bloß ein Lied, das mein alter Vater immer gesungen hat, wenn wir im Decander nachmittags Holz schlagen gingen.« Er räusperte sich nochmals. »Ein Winterlied eben«, ergänzte er und fing an zu singen. Seine Stimme war rauh, aber nicht unmelodisch.
    Eis bedeckt das Strohdach nun,
    Schnee, Fensterbrett und Wald.
    Eine Hand klopft an die Tür
    im Winter eisigkalt.
    Sing hei-a-ho, und wer kann’s sein?
    Feuer lodert im Kamin,
    fest versperrt das Haus.
    Schatten tanzt. Schön-Arda fragt
    vorsichtig hinaus:
    »Sing hei-a-ho, und wer kann’s sein?«
    Winterdunkle Stimme spricht:
    »Öffne deine Tür.
    Lass mich ein, die Hände nur
    will ich wärmen mir.«
    Sing hei-a-ho, und wer kann’s sein?
    Schön Arda züchtig sagte fein:
    »Seltsam kommt’s mir vor,
    dass ein Mensch in solcher Nacht
    den Weg durch Wald und Feld erkor.«
    Sing hei-a-ho, und wer kann’s sein?
    »Ich bin ein armer Pilgersmann,
    hab nicht Dach noch Speise.«
    Und es schmilzt Schön-Ardas Herz
    bei den Worten leise.
    Sing hei-a-ho, und wer kann’s sein?
    »Guter Vater, tretet ein,
    müde und beladen.
    Gottesmännern darf ich traun,
    werden mir nicht schaden.«
    Sing hei-a-ho, und wer kann’s sein?
    Dann schließt sie auf.
    Wer steht davor? Ach, sie ist betrogen.
    Einaug selber tritt ins Haus,
    Hut ins Gesicht gezogen.
    Sing hei-a-ho, und wer kann’s sein?
    »Lügen sprach ich, fing dich ein …«
    Einaug steht im Zimmer.
    »Frost bringt niemals Schaden mir,
    Das Weib lohnt Listen immer …«
    Sing hei-a-ho, und wer kann’s sein?
    »Heiliger Usires, bist du verrückt?« Sludig sprang auf. Alle erschraken. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen malte er das Zeichen des Baumes breit vor sich in die Luft, als wollte er ein sich auf ihn stürzendes Untier abwehren. »Bist du verrückt?«, wiederholte er und stierte den völlig verblüfften Grimmric an.
    Der Erkynländer sah zu den anderen hinüber und zuckte hilflos die Schultern. »Was fehlt dem Rimmersmann, Troll?«, fragte er.
    Binabik schielte zu Sludig hinauf, der immer noch stand. »Was ist es für eine Unrichtigkeit, Sludig? Wir verstehen dich alle nicht.«
    Der Nordmann musterte die ratlosen Gesichter. »Seid ihr denn alle von Sinnen? Wisst ihr denn nicht, von wem er da singt?«
    »Alt-Einaug?«, erwiderte Grimmric und zog fragend eine Brauehoch. »Nur so ein Lied, Nordmann. Hab’s von meinem Vater gelernt.«
    »Das ist Udun Einaug, von dem du singst, Udun Rimmer, der schwarze alte Gott meines Volkes. Als wir noch in heidnischer Unwissenheit lebten, verehrten wir ihn in Rimmersgard. Ruft nie nach Udun Himmelsvater, wenn ihr in seinem Land seid, sonst kommt er zu euch – und ihr werdet es bereuen.«
    »Udun der Reimer …«, sagte Binabik nachdenklich.
    »Aber wenn ihr nicht mehr an ihn glaubt«, fragte Simon, »warum fürchtest du dich dann, von ihm zu sprechen?«
    Sludig presste die Lippen zusammen und starrte Simon an. »Ich habe nicht gesagt, dass ich nicht an ihn glaube … vergib mir, Ädon … sondern nur, dass wir Rimmersmänner ihn nicht mehr anbeten.« Nach einer kleinen Weile setzte er sich wieder hin. »Ihr werdet mich bestimmt für töricht halten, aber das ist immer noch besser, als eifersüchtige alte Götter auf uns herabzurufen. Wir befinden uns jetzt in seinem Land.«
    »Ist doch nur’n Lied«, rechtfertigte sich Grimmric abermals.
    »Hab überhaupt gar nichts herabgerufen. Ist bloß ’n verdammtes Lied.«
    »Binabik, sagen wir darum ›Udunstag‹?«, wollte Simon fragen, brach jedoch ab, als er merkte, dass der Troll ihm nicht zuhörte. Stattdessen stand im Gesicht des kleinen Mannes ein so breites, vergnügtes Grinsen, als hätte er gerade einen Schluck von etwas höchst Angenehmem zu sich genommen.
    »Jawohl, das ist es!«,

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