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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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einfach für dich.« Jiriki warf über die Schulter einen schnellen Blick auf die anderen, die um Grimmric und das winzige Lagerfeuer kauerten. Nur An’nai sah auf, und zwischen den beiden fand ein unerklärlicher, blitzschneller Gedankenaustausch statt. »Schau«, sagte Jiriki.
    Der Spiegel, den er in der hohlen Hand hielt wie einen kostbaren Schluck Wasser, schien sich zu kräuseln. Aus seiner Dunkelheit, nur gespalten von einem zackigen, hellgrauen Streifen, dem Spiegelbild des Himmels über der Höhlung, in der sie saßen, schienen langsam grüne Lichtpunkte zu wachsen wie seltsame Pflanzensterne, die am Abendhimmel keimten. »Ich will dir einen wirklichen Sommer zeigen«, erklärte Jiriki leise, »wirklicher als alle, die du bisher erlebt hast.«
    Die schimmernden grünen Flecken begannen zu flackern und miteinander zu verschmelzen, funkelnde Smaragdfische, die an die Oberfläche eines schattigen Teiches stiegen. Simon fühlte, wie er in den Spiegel hineingezogen wurde, obwohl er seinen Platz nicht verließ und sich nur darüberbeugte. Aus dem einen Grün wurden viele, so viele Schattierungen und Töne, wie es überhaupt gab. Gleich darauf hatten sie sich in ein erstaunliches Gewirr von Brücken, Türmen und Bäumen verfestigt: eine Stadt und ein Wald, ineinandergewachsen, mitten aus einer grasigen Ebene in die Höhe geschossen – keine Stadt, über die ein Wald hinweggewachsen war wie in Da’ai Chikiza, nein, eine blühende, lebendige Verschmelzung von Pflanze und poliertem Stein, von Myrte, Jade und Viridian.
    »Enkie-Shaosaye«, flüsterte Jiriki. Das Gras auf der Ebene neigte sich üppig im Wind. Scharlachrote, weiße und himmelblaue Banner wehten wie Blumen von den ausladenden Türmen der Stadt. »Die letzte und großartigste Stadt des Sommers.«
    »Wo … ist … sie?«, hauchte Simon, hingerissen und bezaubert von so viel Schönheit.
    »Nicht wo, Menschenkind … frag lieber, wann. Die Welt ist nicht nur größer, als du weißt, Seoman, sie ist auch viel, viel älter. Enkie-Shaosaye ist schon lange zu Staub zerfallen. Es lag im Osten des großen Waldes.«
    »Zerfallen?«
    »Es war der letzte Ort, an dem Zida’ya und Hikeda’ya noch zusammenlebten, vor der großen Trennung. Es war eine Stadt voller Handwerkskunst, vor allem aber voller Schönheit; selbst der Wind in den Türmen machte Musik, und die Lampen in der Nacht leuchteten so hell wie Sterne. Nenais’u tanzte im Mondlicht an ihrem Waldteich, und die Bäume neigten sich, um ihr zuzuschauen.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Das alles ist nicht mehr. Es war der Sommer meines Volkes. Jetzt stehen wir weit im Herbst.«
    »Ist nicht mehr?« Simon konnte die Tragödie noch immer nicht fassen. Ihm war, als könne er in den Spiegel hineingreifen und einen der nadelspitzen Türme mit dem Finger berühren. Er fühlte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Keine Heimat! Die Sithi hatten ihre Heimat verloren … einsam und heimatlos durchstreiften sie die Welt.
    Jiriki strich mit der Hand über den Spiegel, der sich sofort trübte. »Dahin«, sagte er. »Aber solange es eine Erinnerung gibt, bleibt auch der Sommer. Und selbst der Winter vergeht.« Er sah Simon lange an, und der Ausdruck von Kummer und Entsetzen im Gesicht des Jungen ließ endlich ein kleines, vorsichtiges Lächeln auf Jirikis Züge treten.
    »Sei nicht traurig«, meinte er schließlich und klopfte Simon leicht auf den Arm. »Noch ist das Helle nicht ganz aus der Welt verschwunden – noch nicht. Und nicht alle schönen Orte sind verfallene Ruinen. Noch gibt es Jao é-Tinuka’i, die Wohnung meiner Familie und meines Volkes. Vielleicht, wenn wir beide heil von diesem Berg hinunterkommen, wirst du es eines Tages sehen.« Er grinste sein seltsames Grinsen, als habe er einen Plan. »Vielleicht …«
    Der Rest des Aufstieges zum Urmsheim – drei weitere Tage auf schmalen, gefährlichen Pfaden, kaum mehr als Eisbänder, oder mit mühsam hineingehackten Hand- und Fußrasten über glatte, glasige Eisfelder, zwei weitere Nächte voll heimtückischer, zähneknirschender Kälte – verging für Simon wie ein flüchtiger, wenn auchschmerzhafter Traum. In der furchtbaren Müdigkeit, die ihn quälte, klammerte er sich an Jirikis Geschenk des Sommers – denn es war ein Geschenk, das verstand er – und war getröstet. Während seine tauben Finger sich mühsam festkrallten und die erstarrten Füße sich anstrengten, auf dem Weg zu bleiben, dachte er daran, dass es irgendwo Wärme und Dinge wie ein

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