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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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recht!«, rief Haestan. »Er hat recht! So gewiss, wie Tunaths Gebeine von Norden nach Süden liegen – da oben hat sich jemand ein Lager gebaut.«
    »Vorsichtig!«, mahnte Binabik eindringlich, aber Simon hatte bereits sein Geschirr abgestreift und war in das Geröll hineingeklettert. Dort, wo er die Füße unglücklich setzte, lösten sich kleine Lawinen. In wenigen Augenblicken hatte er die Höhle erreicht und blieb, auf einem lockeren Stein schwankend, davor stehen.
    »Diese Mauer wurde ganz bestimmt von Menschen errichtet!«, rief er aufgeregt nach unten. Die Öffnung der Höhle war vielleicht drei Ellen breit, und jemand hatte eilig, aber nicht ungeschickt, im Eingang Felsen aneinandergeschichtet – vielleicht, um die Wärme nicht hinauszulassen, vielleicht auch, um Tiere am Eindringen zu hindern.
    »Schrei nicht, Simon, freundlicherweise«, warnte Binabik. »Wir sind gleich bei dir.«
    Ungeduldig sah Simon zu, wie die anderen zu ihm hinaufstiegen. Alle Gedanken an die dünne Luft und die tödliche Kälte waren für den Augenblick vergessen. Als Haestan gerade über den Steinhaufen klettern wollte, erschienen auch die beiden Sithi unter den überhängenden Ästen des Udunbaumes. Nachdem sie einen kurzen Blick auf die Szene geworfen hatten, näherten sie sich der Höhle so gewandt wie zwei von Ast zu Ast hüpfende Eichhörnchen.
    Simon brauchte einen Moment, bis sich sein Blick an das tiefeDunkel im Inneren der niedrigen Höhle gewöhnt hatte. Als er endlich wieder etwas sehen konnte, dauerte es keine weitere Sekunde, bis seine Augen groß wurden vor Entsetzen.
    »Binabik! Es ist … sie sind …«
    Der Troll, der aufrecht stehen konnte, wo Simon hocken musste, schlug sich mit dem Handballen aufs Brustbein.
    »Qinkipa!«, sagte er. »Sie haben auf unser Kommen gewartet.«
    Überall in der Höhle lagen braune Menschenknochen. Die Skelette, nackt bis auf Ausrüstungsgegenstände und Schmuck aus verwittertem schwarzem und grünem Metall, saßen an die Höhlenwände gelehnt da. Eine dünne Eisschicht lag über ihnen wie schützendes Glas.
    »Ist das Colmund?«, fragte Simon.
    »Usires steh uns bei«, würgte hinter ihm Sludig, »nur weg von hier! Die Luft muss voller Gift sein.«
    »Hier ist kein Gift«, schalt ihn Binabik. »Und ob das Herrn Colmunds Leute sind, nun, es scheint mir eine starke Wahrscheinlichkeit zu sein.«
    »Es ist eine interessante Frage, wie sie wohl gestorben sein mögen.« In der kleinen Höhle klang Jirikis Stimme erstaunlich laut. »Wenn sie froren, warum drängten sie sich dann nicht wärmesuchend aneinander?« Er deutete auf die in der Kammer verstreuten Knochen. »Und wenn ein Tier sie getötet hat – oder sie sich gegenseitig umbrachten –, wieso sind dann die Knochen so sorgfältig geordnet, als habe sich einer nach dem anderen ordentlich zum Sterben hingelegt?«
    »Es gibt Geheimnisse hier, über die eines Tages lange zu sprechen sein wird«, entgegnete der Troll, »aber wir haben andere Pflichten, und das Licht schwindet schnell.«
    »Kommt alle her«, sagte Sludig mit einer Stimme von schrecklicher Eindringlichkeit, »hierher!«
    Er stand vor einem der Skelette. Obwohl die Knochen zu einem rostroten Haufen zusammengesackt waren, hatte es immer noch das Aussehen eines mitten im Gebet vornübergefallenen Menschen, der mit ausgestreckten Armen gekniet hatte. Zwischen den Knochen der beiden Hände, die halb unter Eis verborgen waren wie Steine ineiner Schale mit Milch, lag ein langes, in froststarres, modriges Öltuch gewickeltes Bündel.
    Jäh schien alle Luft aus der Höhle zu weichen. Ein angespanntes, erstickendes Schweigen legte sich auf die Versammelten. Der Troll und der Rimmersmann knieten nieder, als wollten sie dem Beispiel der uralten Gebeine folgen und beten, begannen dann aber mit den Eispickeln auf das gefrorene Bündel einzuhacken. Das Öltuch splitterte wie Borke. Ein langer Streifen sprang ab. Darunter zeigte sich tiefe Schwärze.
    »Es ist kein Metall«, sagte Simon enttäuscht.
    »Dorn ist auch nicht aus Metall«, brummte Binabik, »jedenfalls aus keinem Metall, das du je gesehen hast.«
    Sludig gelang es, die Spitze seines Pickels unter das versteinerte Tuch zu schieben, und mit Haestans kräftiger Hilfe rissen sie einen zweiten Streifen herunter. Simon schnappte nach Luft. Binabik hatte recht: Was da wie ein kohlschwarzer Schmetterling aus dem Gefängnis seiner Verpuppung zum Vorschein kam, war kein gewöhnliches Schwert; es war ein Schwert, wie er es noch nie

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