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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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seinem Freund noch einen Blick zu, schlug das Zeichen des Baumes und stolperte den Wehrgang entlang zur Treppe.
    Betäubt, bleischwer, stand Deornoth da und wünschte sich nur, am Stierrückenberg gefallen zu sein. Alles – sogar der schimpflichste Tod – war besser, als sehen zu müssen, was dort unten auf ihn wartete.
    Als Isorn mit dem Prinzen und Jarnauga zurückkam, stand Deornoth mit weit aufgerissenen Augen noch immer an derselben Stelle. Niemand brauchte mehr zu fragen, was er sah, denn ein Blitz zeigte es ihnen.
    Ein riesiges Heer war nach Naglimund gekommen. Aus dem wirbelnden Dunst des Gewitters erhob sich ein unendlicher Wald borstiger Speere. Eine Milchstraße leuchtender Augen glänzte in der Dunkelheit. Wieder rollten die Trommeln wie Donner, und über Burg und Stadt senkte sich der Sturm wie ein gewaltiges, geblähtes Zelt aus herabprasselndem Regen, schwarzen Wolken und eisigem Nebel.
    Die Augen sahen zu den Mauern hinauf – Tausende glitzernder Augen voll grimmiger Vorfreude. Weißes Haar wirbelte im Wind, schmale weiße Gesichter unter dunklen Helmen richteten sich nach oben und starrten auf die Mauern von Naglimund. Die blauen Speerspitzen glitzerten, als es erneut aufblitzte. Schweigend spähten die Fremdlinge in die Höhe wie eine Armee von Gespenstern, bleich wie Blindfische, überirdisch wie der Mondschein. Die Trommeln brachten die Luft zum Beben. Andere, längere Schatten wurden im Nebel sichtbar – riesenhafte Wesen in Rüstungen und mit großen, knorrigen Keulen. Noch einmal schlugen die Trommeln an und verstummten.
    »Barmherziger Ädon, schenke mir Ruhe«, betete Isorn. »In deinen Armen will ich schlafen und in deinem Schoße …«
    »Wer ist das, Josua?«, fragte Deornoth mit einer Stimme, so ruhig, als sei er lediglich neugierig.
    »Das sind ›Weißfüchse‹ – Nornen«, antwortete der Prinz. »Sie sind Elias’ Verstärkung.« Müde hob er die Hand, als wollte er den Anblick der geisterhaften Legion zudecken. »Die Kinder des Sturmkönigs.«

    »Eminenz, ich bitte Euch!« Vater Strangyeard zupfte den alten Mann am Arm, erst sacht, dann immer stärker. Der Alte klebte an der Bank wie eine Schnecke, eine kleine Gestalt in der Dunkelheit des Kräutergartens.
    »Wir müssen beten, Strangyeard«, wiederholte Bischof Anodis hartnäckig. »Knie nieder!«
    Der pochende, hämmernde Lärm des Sturmes wurde lauter. Der Archivar fühlte den panischen Drang fortzulaufen – einfach weg, ganz gleich wohin.
    »Dies ist … es ist keine natürliche Dämmerung, Bischof. Ihr müsst hineingehen, jetzt sofort. Bitte.«
    »Ich wusste, dass ich nicht hätte hierbleiben sollen. Ich habe Prinz Josua gesagt, er sollte sich dem rechtmäßigen König nicht widersetzen«, erklärte Anodis anklagend. »Gott zürnt uns. Wir müssen beten, dass er uns den rechten Weg zeigt – wir müssen seines Martyriums am Baum gedenken …« Er machte krampfhafte Handbewegungen, als schlage er nach Fliegen.
    »Gott? Das hier ist nicht Gottes Werk«, erwiderte Strangyeard, und sein sonst so freundliches Gesicht verfinsterte sich. »Dies ist das Werk Eures ›rechtmäßigen Königs‹ – und seines Zauberers.«
    Der Bischof achtete nicht auf ihn. »Gesegneter Usires«, stammelte er und wich vor dem Priester in das dunkle Gewirr des Hohnblattbeetes zurück. »Wir, die wir demütig zu dir flehen, bereuen unsere Sünden. Wir haben uns deinem Willen widersetzt und damit deinen gerechten Zorn erregt …«
    »Bischof Anodis!«, rief Strangyeard außer sich vor Angst und Wut und trat einen Schritt näher, um überrascht stehen zu bleiben. Eine dichte, brodelnde Kälte schien sich über den Garten zu legen. Und während der Archivar frierend in der immer eisiger werdenden Luft stand, verstummte der Trommelschlag.
    »Da ist etwas …« Ein frostiger Wind schlug Strangyeard die Kapuze ins Gesicht.
    »O wahrlich, schwer haben wir gesündigt in unserem Hochmut, wir armseligen Menschenkinder!«, psalmodierte Anodis, währendes im Hohnblatt raschelte. »Wir b-beten … wir … b-b-beten …« Er wurde langsamer, seine Stimme seltsam schrill.
    »Bischof?«
    In der Tiefe des Gebüschs vor ihm war eine Bewegung auszumachen. Der alte, betende Mann riss plötzlich den Mund auf. Etwas schien nach ihm zu greifen; ringsum spritzte Erde und machte die Ereignisse im Schatten der Pflanzen noch unübersichtlicher. Der Bischof schrie, ein dünner, greinender laut.
    »Anodis!« Strangyeard stürzte sich in das Hohnblatt.
    Sein Schrei brach ab.

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