Der Drachenbeinthron
übrigen Belagerungsmaschinen waren umgekippt und zerstört worden, damit niemand sonst einen Vorteil von ihnen hätte; die Vielzahl der Zeltreihen war verschwunden, als hätten Sturmböen sie aufgewirbelt und fortgeweht. Schwache Geräusche – fernes Schreien der Fuhrleute und Peitschengeknall – drangen zu ihnen herauf: Die Wagen des Hochkönigs wurden beladen.
»Er zieht sich zurück!«, sagte Deornoth beglückt. »Wir haben es geschafft!«
Josua schüttelte den Kopf. »Warum? Warum sollte er? Wir haben ihm kaum einen Bruchteil seiner Truppen genommen.«
»Vielleicht hat er eingesehen, wie stark Naglimund ist«, meinte Isorn und spähte nach unten.
»Und warum hungert er uns dann nicht aus?«, fragte der Prinz. »Ädon! Was geht hier vor? Ich könnte mir noch vorstellen, dass vielleicht Elias selber zum Hochhorst zurückkehrt – aber warum lässt er nicht einmal eine symbolische Belagerung weiterbestehen?«
»Um uns herauszulocken«, meinte Einskaldir gelassen. »In offenes Gelände.« Mit finsterer Miene rieb er mit rauhem Daumen über die Klinge seines Messers.
»Das könnte sein«, erwiderte der Prinz, »aber er müsste mich besser kennen.«
»Josua …« Jarnauga blickte über das abziehende Heer in den Morgendunst, der den nördlichen Himmel verschleierte. »Es stehen seltsame Wolken oben im Norden.«
Die anderen bemühten sich, seinem Blick zu folgen, konnten aber nur die unbestimmten Anfänge der Frostmark erkennen.
»Was für Wolken?«, erkundigte der Prinz sich schließlich.
»Sturmwolken. Äußerst ungewöhnlich. Keine, wie ich sie jemals südlich des Gebirges gesehen habe.«
Der Prinz stand am Fenster und lauschte dem Raunen des Windes, die Stirn an den kalten Steinrahmen gepresst. Unter ihm lag im Mondschein der schmale Hof. Die Bäume schwankten.
Vara streckte einen weißen Arm unter der Pelzdecke hervor.
»Was habt ihr, Josua? Es ist kalt. Schließt das Fenster und kommt zurück ins Bett.«
Er drehte sich nicht um. »Der Wind geht, wohin er will«, sagte er ruhig. »Man kann ihn nicht vor der Tür lassen und ihn auch nicht einsperren, wenn er wieder hinauswill.«
»Es ist zu spät in der Nacht für Eure Rätsel, Josua«, entgegnete sie. Gähnend fuhr sie sich mit den Fingern durch das tintenschwarze Haar, sodass es auf dem Laken ausgebreitet lag wie schwarze Schlangen.
»Es ist zu spät für viele Dinge«, meinte er und setzte sich zu ihr auf das Bett. Seine Hand strich sanft über ihren langen Hals, aber noch immer sah er zum Fenster hinüber. »Es tut mir leid, Vara. Ich bin … verwirrend, ich weiß es. Nie war ich der rechte Mann … für meine Lehrer nicht, für meinen Bruder, für meinen Vater … und nicht für Euch. Manchmal frage ich mich, ob ich nicht in der falschen Zeit geboren bin.« Er hob den Finger, um über ihre Wange zu streichen, und ihr warmer Atem berührte seine Hand. »Wenn ich die Welt sehe, wie sie sich mir gezeigt hat, empfinde ich nur tiefe Einsamkeit.«
»Einsamkeit?« Vara setzte sich auf. Die Pelzdecke glitt herab, und das Mondlicht malte Streifen auf die glatte und weiße Haut. »Bei der Ehre meines Clans, Josua, Ihr seid ein grausamer Mensch! Immer noch bestraft Ihr mich für den Fehler, der Prinzessin helfen zu wollen. Wie könnt Ihr mein Bett teilen und Euch einsam nennen? Geht fort, Ihr Kopfhänger, schlaft mit Euren kalten Nordmädchen oder in einer Mönchszelle. So geht doch!«
Sie schlug nach ihm, und er packte ihren Arm. Trotz ihrer Schlankheit war sie kräftig und versetzte ihm mit der anderen Hand zwei Schläge ins Gesicht, bevor er sich über sie rollen und sie mit seinem Gewicht festhalten konnte.
»Friede, Herrin, Friede!«, sagte er und lachte, obwohl seine Wange brannte. Vara starrte ihn finster an und wand sich, um freizukommen. »Ihr habt recht«, erklärte er. »Ich habe Euch gekränkt und bitte um Verzeihung.« Er beugte sich über sie und küsste ihren Hals und die zorngerötete Wange.
»Kommt näher, und ich werde Euch beißen«, zischte sie. Ihr Körper bebte unter seinem. »Ich hatte Angst um Euch, als Ihr in die Schlacht zogt, Josua. Ich dachte, Ihr würdet sterben.«
»Ich hatte nicht weniger Angst, Herrin. Es gibt so vieles auf der Welt, vor dem man sich fürchten kann.«
»Und nun fühlt Ihr Euch einsam.«
»Einsam«, sagte der Prinz und bot ihr die Lippen zum Hineinbeißen, »kann man sich in der vornehmsten und besten Gesellschaft fühlen.«
Ihr Arm, wieder frei, schlang sich um seinen Hals und zog ihn zu ihr. Das
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