Der Drachenbeinthron
Essenszeit. Wollen wir von einem Unentschieden ausgehen? Wenn ich nicht bald aus der Sonneherauskomme und einen Humpen Wein finde, werde ich Ädonmess dieses Jahr nicht mehr erleben. Meine alten Nordknochen sind für solch grausame Hitze nicht geschaffen.«
»Der Herzog hat recht, Herr«, schnarrte Pryrates und legte die Finger auf Elias’ Hand, die immer noch das Schwert in die Höhe hielt. Ein Reptilienlächeln machte die Lippen des Priesters schmal. »Wir können unsere Geschäfte auf dem Rückweg erledigen.«
»Nun gut«, knurrte Elias und warf das Schwert über die Schulter. Es schlug auf dem Boden auf, wirbelte einmal um seine Achse und blieb dann liegen. »Sei bedankt für die Übung, Bruder.« Er drehte sich um und bot Pryrates den Arm. So entfernten sie sich, Scharlach und Grün.
»Was meint Ihr, Josua?«, fragte Isgrimnur und nahm dem Prinzen das Holzschwert aus der Hand. »Wollen wir einen Becher Wein zu uns nehmen?«
»Ja, ich denke schon«, erwiderte Josua und bückte sich, um die Westen aufzuheben, während Isgrimnur das Schwert holte, das der König weggeschleudert hatte. Der Prinz richtete sich auf und starrte in die Weite. »Stehen denn immer die Toten zwischen den Lebenden, Onkel?«, fragte er leise und strich sich mit der Hand über das Gesicht. »Aber lass nur. Komm, wir suchen uns einen kühlen Ort.«
»Wirklich, Judith, es ist ganz in Ordnung. Rachel hätte nichts dagegen …«
Nur wenige Zoll von der Rührschüssel entfernt wurde Simons suchende Hand gepackt. Judith, so rund und rosig sie auch aussah, war ungemein kräftig.
»Hände weg! ›Rachel hätte nichts dagegen‹, ha! Sonst noch etwas? Jeden Knochen in meinem alten, schwachen Körper würde sie mir brechen!« Judith schob Simons Hand auf seinen Schoß zurück, pustete sich eine Haarsträhne aus den Augen und wischte sich die Finger an der fleckigen Schürze ab. »Ich hätte wissen müssen, dass der leichteste Geruch von gebackenem Ädonbrot dich anziehen würde wie einen Trossköter aus Inniscrich.«
Simon malte traurige Muster auf die mehlbestreute Tischplatte.
»Aber Judith, du hast doch ganze Berge von Teig – warum kann ich keine Kostprobe aus der Schüssel bekommen?«
Judith wuchtete sich vom Hocker und glitt anmutig, wie eine Barke auf gemächlichem Fluss, zu einem der zahlreichen Küchenborde. Vor ihr stoben zwei kleine Küchenjungen auseinander wie verschreckte Möwen. »Also, wo …«, bemerkte sie sinnend, »ist jetzt dieser Krug mit der süßen Butter?« Während sie so, den Finger im Mund, in nachdenklicher Haltung dastand, rutschte Simon näher an die Rührschüssel heran.
»Wag es nicht, Bürschchen!« Judith warf die Worte über die Schulter, ohne sich auch nur nach ihm umzudrehen. Hatte sie auf allen Seiten Augen? »Es liegt nicht daran, Simon, dass wir keinen Teig übrighätten; aber Rachel will nicht, dass du dir den Appetit für das Abendessen verdirbst.« Sie setzte ihre Inspektion der Regale fort, auf denen eine Fülle von Lebensmitteln aufgestapelt war, während sich Simon finster blickend zurücklehnte.
Trotz solcher gelegentlichen Misserfolge war die Küche ein wundervoller Ort. Länger noch als Morgenes’ ganze Wohnung, wirkte sie trotzdem klein und gemütlich, erfüllt von der pulsierenden Wärme der Öfen und Herde und den Düften guter Dinge. Schmorlamm brodelte in eisernen Töpfen, im Ofen gingen die Ädonbrote auf, und im beschlagenen Fenster hingen wie Glocken braune Zwiebeln mit Schalen wie aus Papier. Die Luft war schwer vom Geruch der Gewürze, von scharfem Ingwer und Zimt, Safran, Nelken und kratzigem Pfeffer. Küchenjungen rollten Fässer mit Mehl oder sauer eingelegtem Fisch durch die Tür oder holten mit flachen Holzpaddeln Brotlaibe aus den Backöfen. Einer der Oberlehrlinge kochte auf dem Feuer in einem Topf Reisbrei aus Mandelmilch, eine weiße Süßspeise für den Nachtisch des Königs. Und Judith selbst, eine mächtige, sanfte Frau, die die riesige Küche so anheimelnd erscheinen ließ wie eine Bauernkate, leitete das alles, ohne auch nur einmal die Stimme zu heben, eine freundliche, aber scharfäugige Herrscherin über ihr Reich aus Töpfen und Feuerschein.
Sie kam mit dem fehlenden Krug wieder und ergriff unter Simons missbilligendem Blick einen langstieligen Pinsel, um diegeflochtenen Laibe Ädonbrot mit der Butter zu bestreichen. »Judith«, fragte Simon nach einer Weile, »wenn jetzt schon bald Ädonmess ist, warum haben wir keinen Schnee? Morgenes sagt, er hätte noch
Weitere Kostenlose Bücher