Der Drachenbeinthron
»Siehst du das?«, fragte sie. »Da habe ich neulich erst die Prinzessin stehen sehen. Sie hat sich das Haar gekämmt … meine Güte, hat sie nicht hübsches Haar?«
Eine vage Erinnerung an Gold, in dem sich die Nachmittagssonne fing, stieg in Simon auf, aber er ließ sich nicht ablenken.
»Ach, ich finde, du hast viel schöneres Haar«, erklärte er und wandte sich dann ab, um einen der Wachttürme in der Mauer des Mittleren Zwingers zu betrachten. Ein verräterisches Erröten stahl sich in seine Wangen.
»Meinst du wirklich?«, lachte Hepzibah. »Ich finde, es ist ein fürchterliches Gestrüpp. Prinzessin Miriamel hat Damen, die es ihr bürsten. Sarrah – du weißt, das blonde Mädchen – kennt eine davon. Sarrah sagt, die Dame hätte ihr erzählt, die Prinzessin wäre manchmal ganz traurig, und sie wollte zurück nach Meremund, wo sie aufgewachsen ist.«
Simon schaute mit großem Interesse auf Hepzibahs Nacken, der mit lockigen braunen Haarzweiglein bekränzt war, die unter ihrer Haube hervorlugten. »Hmmm«, antwortete er.
»Soll ich dir noch etwas sagen?«, fragte Hepzibah und wandte sich vom Turm ab. »Warum starrst du denn so?«, schalt sie, aber ihre Augen waren fröhlich. »Hör auf damit, ich habe dir doch gesagt, dass mein Haar ganz durcheinander ist. Soll ich dir noch etwas über die Prinzessin erzählen?«
»Was?«
»Ihr Vater will, dass sie Graf Fengbald heiratet, aber sie mag nicht.Der König ist sehr böse auf sie, und Graf Fengbald droht, den Hof zu verlassen und wieder nach Falshire zu gehen, obwohl man sich nicht vorstellen kann, warum. Lofsunu sagt, er würde nie gehen, weil in seiner Grafschaft niemand genug Geld hat, um seine Pferde und Kleider und alles andere richtig zu würdigen.«
»Wer ist Lofsunu?«, wollte Simon wissen.
»Oh.« Hepzibah machte ein gelangweiltes Gesicht. »Das ist ein Soldat, den ich kenne. Er gehört zu Graf Breyugars Gefolgschaft. Sieht sehr gut aus.«
Der letzte Rest des Ädonbrotes verwandelte sich in Simons Mund in feuchte Asche. »Ein Soldat?«, fragte er leise. »Ist er … ein Verwandter von dir?«
Hepzibah kicherte, ein Geräusch, das Simon langsam ein wenig auf die Nerven zu gehen begann. »Ein Verwandter! Barmherzige Rhiap, nein, das ganz bestimmt nicht! So wie er mir die ganze Zeit nachläuft!« Sie kicherte wieder; es gefiel Simon noch viel weniger. »Vielleicht hast du ihn schon gesehen«, fuhr sie fort, »er steht Wache in der Ostkaserne. Breite Schultern und Bart.« Sie zeichnete einen Mann in die Luft, in dessen Schatten Simon an einem Sommertag bequem hätte sitzen können.
Simons Gefühle kämpften einen Moment lang mit seiner vernünftigeren Seite. Die Gefühle siegten. »Soldaten sind dumm«, knurrte er.
»Sind sie nicht!«, versetzte Hepzibah. »Nimm das zurück! Lofsunu ist ein feiner Mann. Eines Tages wird er mich heiraten!«
»Ein feines Paar werdet ihr abgeben«, fauchte Simon. Dann tat es ihm leid. »Ich hoffe, ihr werdet glücklich«, schloss er und wünschte sich nur, die Gründe für seinen Groll wären nicht so kristallklar.
»Das werden wir bestimmt«, meinte die besänftigte Hepzibah.
Sie betrachtete eindringlich ein Paar Burgwächter, die über ihnen die Zinnen entlangwanderten, lange Hellebarden auf den Schultern. »Irgendwann wird Lofsunu Unteroffizier, dann werden wir in Erchester ein eigenes Haus haben. Wir werden so glücklich sein wie … wie man nur sein kann. Jedenfalls glücklicher als die arme Prinzessin.«
Simon zog eine Grimasse, hob einen runden Stein auf und ließ ihn die Zwingermauer hinunterklappern.Doktor Morgenes, der auf den Zinnen auf und ab lief, schaute hinunter und erblickte Simon, der mit einer der jungen Dienstmägde unten vorbeiging. Eine trockene Brise wehte ihm die Kapuze vom Kopf. Der alte Mann lächelte und wünschte Simon Glück – der Junge schien es nötig zu haben. Seine ungeschickte Haltung und die Anfälle von Trotz ließen ihn mehr wie ein Kind als wie einen jungen Mann erscheinen, aber er hatte bereits die Höhe eines Mannes und ließ erkennen, dass er sie eines Tages auch ausfüllen würde. Simon stand an einer Grenze, ein Bein auf jeder Seite, und sogar der Doktor, dessen Alter sich niemand im Schloss mehr vorstellen konnte, erinnerte sich, was das für ein Zustand war.
Plötzlich schwirrten hinter ihm Flügel in der Luft. Morgenes drehte sich um, jedoch langsam, so als wäre er nicht weiter überrascht. Jeder Beobachter hätte einen flatternden grauen Schatten gesehen, der
Weitere Kostenlose Bücher