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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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nie erlebt, dass er so lange auf sich warten ließ.«
    »Das weiß ich ganz bestimmt nicht«, erwiderte Judith munter. »Wir hatten ja auch im Novander keinen Regen. Ich nehme an, es ist eben ein trockenes Jahr.« Sie runzelte die Stirn und pinselte noch einmal über den letzten Brotlaib.
    »Sie haben die Schafe und Kühe aus der Stadt auf dem Hochhorst im Burggraben getränkt«, fuhr Simon fort.
    »Haben sie das?«
    »Ja. Man kann am Rand die braunen Ringe sehen, die anzeigen, wie der Wasserspiegel gesunken ist. Es gibt Stellen, an denen man stehen kann und wo einem das Wasser nicht einmal bis zu den Knien geht!«
    »Und die hast du zweifellos alle schon entdeckt.«
    »Ich glaube schon«, erwiderte Simon stolz. »Und letztes Jahr um diese Zeit war alles gefroren. Stell dir doch vor!«
    Judith sah vom Glasieren der Brote auf und betrachtete Simon mit ihren freundlichen blassblauen Augen. »Ich weiß, dass es aufregend ist, wenn so etwas geschieht«, meinte sie, »aber vergiss nicht, Bürschchen, dass wir das Wasser brauchen. Wenn wir weder Regen noch Schnee bekommen, gibt es auch keine schönen Mahlzeiten mehr. Du weißt ja, dass man aus dem Kynslagh nicht trinken kann.« Der Kynslagh und auch der Gleniwent, der ihn speiste, waren salzig wie das Meer.
    »Natürlich weiß ich das«, erwiderte Simon. »Sicher wird es auch bald schneien – oder regnen, weil es so warm ist. Es wird nur einen sehr merkwürdigen Mittwinter geben.«
    Judith wollte gerade noch etwas bemerken, hielt jedoch inne und blickte über Simons Schulter nach der Tür.
    »Ja, Mädchen, was gibt’s?«, fragte sie. Simon drehte sich um und sah nur wenige Fuß von ihm entfernt ein wohlbekanntes, lockenhaariges Gesicht – Hepzibah.
    »Rachel hat mich geschickt, um Simon zu holen, Frau Judith«, erklärte sie und machte einen nachlässigen halben Knicks. »Siebraucht ihn, weil er etwas von einem hohen Regal herunterholen soll.«
    »Nun, Herzchen, da brauchst du nicht zu fragen. Er sitzt hier nur herum und betet mein Backwerk an; nicht, dass er helfen würde oder sonst etwas täte.« Sie scheuchte Simon mit einer Handbewegung hinaus, die er nicht sah, weil er gerade Hepzibahs enggeschnürte Schürze und ihr welliges Haar bewunderte, das ihr Häubchen weder bändigen noch bedecken konnte. »Lysia erbarm sich, Junge; mach, dass du wegkommst!« Judith lehnte sich über den Tisch und stupste Simon mit dem Pinselstiel.
    Hepzibah hatte bereits kehrtgemacht und war schon fast zur Tür hinaus. Als Simon hastig von seinem Schemel sprang, um ihr nachzulaufen, legte ihm die Küchenmeisterin ihre warme Hand auf den Arm.
    »Hier«, sagte sie, »das hier scheint mir schlecht geraten zu sein – schau nur, es ist ganz schief.« Sie reichte ihm einen krummen Brotlaib, gedreht wie ein Stück Seil und nach Zucker duftend.
    »Danke!«, erwiderte Simon, nahm den Laib, riss ein Stück ab und stopfte es sich in den Mund, während er hastig zur Tür rannte. »Es ist gut!«
    »Natürlich ist es das!«, rief Judith ihm nach. »Und wenn du es Rachel erzählst, ziehe ich dir das Fell über die Ohren!« Aber die letzten Worte trafen nur noch einen leeren Türrahmen.
    Simon brauchte nur wenige Schritte, um Hepzibah einzuholen, die sich nicht sonderlich schnell bewegte.
    Hat sie auf mich gewartet? , überlegte er und fühlte sich eigenartig atemlos, entschied dann aber, dass jeder, den ein Auftrag aus Rachels Klauen befreite, höchstwahrscheinlich trödeln würde, so gut er konnte.
    »Möchtest du … möchtest du etwas davon haben?«, fragte er und schnappte leicht nach Luft. Die kleine Magd nahm ein Stück von dem süßen Brot und schnupperte daran, bevor sie es in den Mund steckte.
    »Oh, das schmeckt gut, wirklich«, erklärte sie dann und schenkte Simon ein strahlendes Lächeln, das ihre Augenwinkel mit Lachfältchen umrahmte. »Gib mir noch ein Stück, ja?« Er tat es.
    Sie verließen die Halle und traten in den Hof. Hepzibah kreuzte die Arme, als wollte sie sich selbst umarmen. »Uh, ist das kalt«, sagte sie. Eigentlich war es ziemlich warm – wenn man berücksichtigte, dass man sich im Monat Decander befand, geradezu glühend heiß –, aber nun, wo Hepzibah es erwähnte, war Simon überzeugt, er spüre eine kalte Brise.
    »Ja, wirklich kalt, in der Tat«, bemerkte er und verstummte dann aufs Neue.
    Als sie um die Ecke der Inneren Burg bogen, in der die königlichen Wohnungen lagen, deutete Hepzibah auf ein kleines Fenster gerade unterhalb des oberen Erkertürmchens.

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