Der Drachenbeinthron
wenige Herzschläge lang vor ihm in der Luft hing und dann in den weiten Falten seiner grauen Ärmel verschwand.
Die Hände des Doktors, eben noch leer; hielten eine kleine Rolle feinen Pergaments, das mit einem schmalen, blauen Bändchen verschnürt war. Er barg sie in der Handfläche und rollte sie dann vorsichtig auf. Die Botschaft war in der südlichen Sprache Nabbans und der Kirche abgefasst, aber die Buchstaben waren die starren Runen von Rimmersgard.
Morgen –
die Feuer von Sturmspitze sind entfacht. Neun Tage lang habe ich von Tungoldyr aus ihren Rauch gesehen und acht Nächte ihre Flammen. Die Weißfüchse sind wieder erwacht und suchen die Kinder in der Dunkelheit heim. Auch an unseren kleinsten Freund habe ich geflügelte Worte gesandt, aber ich glaube nicht, dass sie ihn ahnungslos finden werden. Jemand hat an gefährliche Türen geklopft.
Jarnauga
Neben die Unterschrift hatte der Verfasser mit kruden Strichen eine von einem Kreis umgebene Feder gezeichnet.
»Merkwürdiges Wetter, nicht?«, bemerkte eine trockene Stimme. »Und doch so angenehm für einen Spaziergang auf den Zinnen.«
Der Doktor fuhr herum und zerknüllte das Pergament in der Hand. Neben ihm stand lächelnd Pryrates.
»Die Luft ist heute voller Vögel«, fuhr der Priester fort. »Seid Ihr ein Vogelliebhaber, Doktor? Kennt Ihr Euch in ihren Gewohnheiten aus?«
»Ich weiß ein wenig über sie – nicht viel«, antwortete Morgenes ruhig. Seine blauen Augen waren schmal geworden.
»Ich habe auch schon daran gedacht, sie zu studieren«, nickte Pryrates. »Man fängt sie leicht, wisst Ihr … und sie haben so viele Geheimnisse, die einem wissbegierigen Gemüt wertvoll erscheinen könnten.« Er seufzte und rieb sich das glatte Kinn. »Nun ja, lediglich ein weiterer Punkt, über den ich einmal nachdenken müsste – meine Zeit ist jetzt schon so ausgefüllt. Guten Tag, Doktor. Genießt die Luft.« Er entfernte sich und stieg von den Zinnen. Seine Stiefel klickten auf dem Stein.
Noch lange, nachdem der Priester gegangen war, stand Morgenes still da und starrte in den graublauen Himmel, Richtung Norden.
8
Bittere Luft und Süße
er Jonever neigte sich dem Ende zu. Noch immer war kein Regen gefallen. Als die Sonne langsam hinter den Westmauern versank und im hohen dürren Gras Insekten zu schwatzen begannen, saßen Simon und Jeremias, der Wachszieherjunge, Rücken an Rücken da und schnauften.
»Na, komm.« Simon zwang sich aufzustehen. »Noch eine Runde.« Jeremias, nunmehr ohne Rückhalt, kippte nach hinten, bis er im schütteren Gras ausgestreckt dalag wie eine umgedrehte Schildkröte.
»Mach du allein weiter«, hechelte er, » ich werde nie ein Soldat.«
»Natürlich wirst du das«, widersprach Simon, den solche Reden ärgerten. »Alle beide werden wir Soldaten. Das letzte Mal warst du viel besser. Los, steh auf.«
Mit schmerzlichem Stöhnen ließ Jeremias sich hochziehen. Unwillig nahm er den Fassstock entgegen, den Simon ihm reichte.
»Wir wollen lieber zurückgehen, Simon. Mir tut alles weh.«
»Du denkst zu viel nach«, entgegnete Simon und hob seinen eigenen Stock. »Angriff!«
Stab krachte gegen Stab.
»Autsch!«, jaulte Simon.
»Ho, ho«, jubelte Jeremias schon weit zuversichtlicher. »Ein tödlicher Hieb!« Das Klicken und Klappern begann von neuem.
Es war nicht allein das erfolglose Getändel mit Hepzibah, das in Simon die alte Vorliebe für den Ruhm des Soldatenlebens wieder neu erwachen ließ. Bevor Elias den Thron bestiegen hatte, war Simon überzeugt gewesen, es sei sein Herzenswunsch – für den er alles in der Welt gegeben hätte –, Morgenes’ Lehrling zu werden undalle Geheimnisse der unordentlichen, magischen Welt des Doktors kennenzulernen. Aber nachdem er das erreicht und den bemüht strebsamen Inch als Helfer des Doktors abgelöst hatte, begann die Herrlichkeit zu verblassen. Es gab einfach viel zu viel Arbeit, und Morgenes nahm es mit allem so verdammt genau. Und hatte Simon auch nur den kleinsten Zauber gelernt? Nichts hatte er. Verglichen mit den langen Stunden des Lesens und Schreibens und Fegens und Putzens im dunklen Zimmer des Doktors schienen ihm große Taten auf dem Schlachtfeld und die bewundernden Blicke junger Frauen ganz und gar nicht verachtenswert.
Tief unten im nach Talg riechenden Bau Jakobs des Wachsziehers hatte der kriegerische Glanz des ersten Königsjahres auch den dicken Jeremias erfasst. Während der einwöchigen Festveranstaltungen, die Elias fast allmonatlich abzuhalten
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