Der Drachenbeinthron
Arglistig sinnt
mein Bruder üblen Plan.
Er fürchtete das milde Herz,
Stechpalm misstraute er,
und aus dem Wams er heimlich zog
ein Tränklein gifteschwer.
Die Brüder saßen froh bei Tisch,
da goss er es ins Glas
und hieß Prinz Stechpalm trinken
und –
»Genug! Das ist Verrat!«, brüllte Guthwulf, sprang auf und kippte seinen Stuhl mitten unter die erschreckten Höflinge. Sein Langschwert zischte aus der Scheide. Wäre Fengbald nicht verwirrt in die Höhe gefahren und ihm dadurch in den Arm gefallen, hätte Guthwulf sich auf den ängstlich zurückweichenden Strupp gestürzt.
Auch Elias war sofort auf den Füßen. »In die Scheide mit dem Stahl, du Idiot!«, schrie er. »Niemand zieht im Thronsaal des Königs das Schwert!« Von dem wütend knurrenden Grafen von Utanyeat wandte er sich dem Narren zu. Der alte Mann, der sich noch nicht von dem erschreckenden Anblick des rasenden Guthwulfs erholt hatte, rang mühsam um Fassung.
»Glaub ja nicht, Zwerg, dass uns dein Liedchen erheitert hat«, zischte der König, »oder dass die lange Zeit, die du meinem Vater gedient hast, dich unverletzlich macht – aber denk auch nicht, dass du mit solch stumpfen Dornen die Haut des Königs ritzen kannst. Geh mir aus den Augen!«
»Ich will Euch gestehen, Herr, dass dieses Lied ein neu ersonnenes war«, begann der Narr mit unsicherer Stimme. Seine Schellenkappe saß schief. »Aber es war nicht …«
»Scher dich fort!« , fauchte Elias, totenbleich im Gesicht, in den Augen den Blick eines Raubtiers. Hastig humpelte Strupp aus dem Thronsaal, schaudernd vor dem letzten wilden Blick des Königs und dem verschlossenen, hoffnungslosen Gesicht der Prinzessin Miriamel.
11
Ein unerwarteter Gast
m letzten Avreltag, in der Mitte des Nachmittags, war Simon im dunklen Heuboden des Stalls untergetaucht, trieb behaglich in einem kratzigen, gelben Meer dahin, nur den Kopf über den staubigen Wogen. Vor dem breiten Fenster rieselte der funkelnde Heustaub zur Erde, und Simon lauschte dem eigenen gleichmäßigen Atem.
Er war eben erst von der düsteren Galerie der Kapelle heruntergekommen, in der die Mönche die Mittagsriten gesungen hatten. Die reinen, gemeißelten Töne ihrer feierlichen Gebete hatten ihn ergriffen, wie die Kapelle und die trockenen Verrichtungen in ihren teppichverkleideten Mauern es selten taten; jede einzelne Note wurde sorgsam gehalten und dann liebevoll freigegeben, so wie ein Holzschnitzer zierliche Spielzeugboote in einen Bach setzt. Die singenden Stimmen hatten sein Herz in ein süßes, kaltes Netz aus Silber gehüllt; dessen Fäden ihn mit einer zärtlichen Hoffnungslosigkeit noch immer festhielten. Es war so ein wunderliches Gefühl gewesen – für einen Moment lang hatte er die Empfindung gehabt, als bestehe er ganz aus Federn und rasendem Herzschlag, ein verängstigter Vogel in Gottes hohler Hand …
Aber plötzlich hatte er sich dieser Fürsorglichkeit und Zartheit unwürdig gefunden und war die Galerietreppe hinuntergerannt – er war zu ungeschickt, zu töricht. Vielleicht würde er mit seinen aufgesprungenen Küchenjungenhänden die schöne Musik zu grob anfassen, wie ein Kind, das ahnungslos einen Schmetterling zerdrückt.
Jetzt, oben auf dem Heuboden, begann sein Herz langsamer zu schlagen. Simon vergrub sich tief im muffigen, flüsternden Strohund horchte mit geschlossenen Augen auf das sanfte Schnauben der Pferde in ihren Boxen. Er glaubte, die Berührung der Staubkörnchen zu spüren, die in der stillen, schläfrigen Dunkelheit auf sein Gesicht herabrieselten.
Vielleicht war er eingeschlummert – er wusste es nicht genau –, aber das nächste, was er bemerkte, war der plötzliche, scharfe Ton von Stimmen unter ihm. Simon rollte sich zur Seite und schwamm durch das kitzelnde Stroh bis zum Rand des Speichers, um nach unten in den Stall zu blicken.
Sie waren zu dritt: Shem Pferdeknecht, Ruben der Bär und ein kleiner Mann, der Strupp der Narr sein mochte – Simon konnte es nicht mit Sicherheit feststellen, weil er kein Narrengewand trug und einen Hut aufhatte, der den größten Teil seines Gesichts verdeckte. Sie waren alle drei durch die Stalltür gekommen wie ein Trio lustiger Hanswurste; der Schmied schwang in der Faust – breit wie die Keule eines Frühjahrslamms – einen Krug. Sie waren betrunken wie die Vögel im Beerenbusch, und Strupp – wenn er es war – sang ein altes Lied:
Hans, nimm eine Maid
zum frohen Berg hinauf
und sing vergnügt hei-ho:
Halbkronentag …
Ruben
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