Der Drachenbeinthron
langfingrigen Hände gestützt wie ein Kind, das durchs Fenster dem Regen zuschaut. In seinen tiefliegenden Augen spiegelte sich der Fackelschein. »Was meint Ihr mit ›noch Schlimmerem‹, edler Isgrimnur?«
»Unwichtig. Die Leute … machen sich ihre Gedanken, das ist alles. Ihr wisst, wie die Markbewohner sind …« Der Rimmersmann verstummte und trank verlegen einen Schluck Wein.
Eolair stand auf. »Wenn der Herzog seine eigenen Gedanken und das, was wir auf den Märkten und von den Dienstboten gehört haben, nicht aussprechen will, werde ich es tun. Die Menschen im Norden fürchten sich. Es gehen Dinge vor, die man nicht mit schlechtem Wetter und Missernten erklären kann. In meiner Heimat haben wir es nicht nötig, von Engeln oder Teufeln zu reden. Wir Hernystiri – wir aus dem Westen – wissen, dass Wesen auf dieser Erde aufrecht gehen, die keine Menschen sind … und wir wissen, ob man sich vor ihnen fürchten muss oder nicht. Wir Hernystiri kannten die Sithi, als sie noch in unseren Feldern wohnten und die hohen Berge und weiten Wiesen von Erkynland ihr Eigentum waren.«
Die Fackeln hatten angefangen zu tropfen, und Eolairs hohe Stirn und seine Wangen schienen in schwachem Scharlachglanz zu schimmern. »Wir haben es nicht vergessen«, fuhr er ruhig fort; seine Stimme erreichte sogar den eingenickten Godwig, der den benebelten Kopf hob wie ein Jagdhund, der in der Ferne Rufe hört. »Wir Hernystiri erinnern uns an die Zeit der Riesen und die Tage des Fluchs des Nordens, der Weißfüchse, darum reden wir jetzt ohne Umschweife: Böses ist erwacht in diesem unheilvollen Winter und Frühling. Es sind nicht nur Räuber, die Reisende überfallen und einsam wohnende Bauern verschwinden lassen. Die Völker des Nordens fürchten sich …«
»Ha, ›wir Hernystiri‹!« Pryrates’ höhnische Stimme durchbrachdie Stille und durchbohrte den Zauber jenseitiger Welten. »›Wir Hernystiri‹! Unser edler heidnischer Freund behauptet, klare Worte von sich zu geben!« Pryrates zeichnete einen übertriebenen Baum auf die Brust seines unpriesterlichen roten Gewandes. Elias’ Miene nahm einen Ausdruck hinterhältiger Gutgelauntheit an. »Und was tut er? Er setzt uns die dickste Suppe aus Rätseln und dunklem Geschwätz vor, die mir je auf den Tisch gekommen ist. Riesen und Elfen!« Pryrates machte eine wegwerfende Handbewegung und ließ den Ärmel über die Teller mit dem Abendessen flattern. »Als ob Seine Majestät der König nicht schon genug Sorgen hätte – sein Bruder verschwunden, die Untertanen hungrig und verängstigt –, als ob dem König selbst nicht schon fast das eigene große Herz bräche! Und Ihr, Eolair, kommt ihm mit heidnischen Gespenstergeschichten aus dem Mund alter Weiber!«
»Ein Heide mag er sein, jawohl«, grollte Isgrimnur, »aber es steckt mehr ädonitische Gutwilligkeit in Eolair als in dem Rudel fauler Welpen, das sich hier am Hof herumlümmelt …« – hier bellte Baron Heahferth, was Godwig in trunkenes Gelächter ausbrechen ließ –, »herumlümmelt, sage ich, während das Volk von magerer Hoffnung und noch magereren Ernten lebt!«
»Schon gut, Isgrimnur«, sagte Eolair müde.
»Edle Herren!«, warf Fluiren nervös ein.
»Nein, man soll Euch Eurer Aufrichtigkeit wegen nicht beleidigen!«, brummte Isgrimnur Eolair zu. Schon hob er die Faust, um von neuem auf den Tisch zu donnern, überlegte es sich dann jedoch und legte sie stattdessen auf die Brust und um den hölzernen Baum, der dort hing. »Vergebt mir den Ausbruch, mein König. Aber Graf Eolair sagt die Wahrheit. Ob ihre Ängste begründet sind oder nicht, die Menschen fürchten sich.«
»Und wovor fürchten sie sich, lieber alter Onkel Bärenhaut?«, fragte der König und hielt Guthwulf seinen Pokal zum Nachfüllen hin.
»Sie fürchten sich vor der Finsternis«, erwiderte der alte Mann, jetzt voller Würde. »Sie fürchten die Finsternis des Winters, und sie haben Angst, dass es in der Welt noch dunkler werden könnte.«
Eolair stellte den leeren Becher umgedreht auf den Tisch. »Aufdem Markt von Erchester füllen die wenigen Händler, die es bis in den Süden geschafft haben, die Ohren der Leute mit Neuigkeiten über eine seltsame Erscheinung. Ich habe diese Erzählung so oft gehört, dass ich fast überzeugt bin, dass sie inzwischen jeder Mensch in der Stadt kennt.« Eolair hielt inne und sah den Rimmersmann an, der ernsthaft mit dem Kopf nickte und sich den grausträhnigen Bart strich.
»Nun?«, erkundigte Elias sich
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