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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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gefurchten Wange des Narren glänzte eine Träne. »›Führe meinen Sohn in den Thronsaal und gib ihm Hellnagel‹, sagte er zu mir, und das tat ich auch. Ich brachte es ihm in der Nacht, als sein lieber Vater gestorben war … legte es in seine Hand, so wie sein Vater es mir gesagt hatte … und er ließ es fallen! Ließ es fallen!« Strupps Stimme hob sich zornig. »Das Schwert, das sein Vater in mehr Schlachten getragen hat, als ein Rudel Bracken Flöhe hat! Ich konnte es kaum fassen … dieses Ungeschick, diese … Unverfrorenheit! Hört ihr mir zu, Shem – Ruben?« Der Schmied neben ihm grunzte.
    »Psst! Ich war natürlich ganz entsetzt. Ich hob es auf und wischtees mit den leinenen Binden ab und reichte es ihm abermals; diesmal ergriff er es mit beiden Händen. ›Es hat sich gedreht‹, sagte er, als ob er einfältig wäre. Und als er es in der Hand hielt, ging ein seltsamer Ausdruck über sein Gesicht wie …« Der Narr verstummte. Simon fürchtete schon, er wäre eingeschlafen, aber anscheinend dachte der Kleine nur nach, auf langsame, weinwirre Weise.
    »Sein Gesichtsausdruck«, fuhr Strupp fort, »war wie bei einem Kind, das man bei etwas ganz, ganz Bösem erwischt – ja, genau so! Er wurde blass und bekam einen ganz schlaffen Mund. Und dann gab er es mir zurück! ›Begrab das mit meinem Vater‹, hat er gesagt. ›Es ist sein Schwert, er soll es behalten.‹ – ›Aber er wollte es Euch geben, Herr‹, wandte ich ein … aber hat er auf mich hören wollen? Hat er? Nein! ›Ein neues Zeitalter ist angebrochen, Alter‹, erklärte er mir, ›wir brauchen diese Überbleibsel der Vergangenheit nicht mehr.‹ Könnt ihr euch die gottverdammte Unverschämtheit von so einem Kerl vorstellen?«
    Strupp tastete mit den Händen, bis er den Krug fand, und hob ihn zu einem langen Zug. Seine beiden Zechgenossen hatten die Augen geschlossen und stießen rasselnde Atemgeräusche aus, aber der alte Mann, ganz von seiner Empörung in Beschlag genommen, achtete nicht darauf.
    »Und dann wollte er seinem armen, toten Vater nicht einmal die Höflichkeit erweisen, es ihm selber ins Grab zu legen. Wollte es … wollte es nicht einmal anfassen! Ließ seinen jüngeren Bruder das machen! Ließ Josua …« Strupps kahler Kopf nickte. »Als ob er sich dran verbrannt hätte … so sah es aus, als er es mir wieder hinhielt … so schnell … verfluchter Welpe …« Strupps Kopf fuhr noch einmal in die Höhe, sank dann auf die Brust und hob sich nicht wieder.
    Als Simon leise die Leiter hinabstieg, schnarchten die drei Männer schon wie alte Hunde vor dem Kamin. Auf Zehenspitzen schlich er sich hinaus – war nur so freundlich, im Vorbeigehen den Krug zuzukorken und beiseitezustellen, damit kein jäh im Schlaf ausgestreckter Arm das Gefäß umkippte. Dann trat er in das schräge Sonnenlicht des Burgangers.
    So viel Seltsames ist geschehen in diesem Jahr, dachte er, setzte sich an den Brunnen in der Mitte des Angers und warf Steinchen hinein.
    Dürre und Krankheit, der Prinz verschwunden, in Falshire Menschen verbrannt und getötet … Aber irgendwie schien das alles gar nicht so ernst zu sein. Es passiert immer jemand Fremdem, entschied Simon, halb erfreut, halb bedauernd. Alles passiert immer den anderen.

    Sie hatte sich auf dem Fenstersitz zusammengekauert und starrte durch die zierlich geätzten Scheiben auf irgendetwas hinunter. Als er eintrat, schaute sie nicht auf, obwohl das Scharren seiner Stiefel auf den Steinplatten ihn deutlich ankündigte. Einen Augenblick verharrte er mit über der Brust gekreuzten Armen in der Tür, aber noch immer drehte sie sich nicht um. Er schritt auf sie zu, blieb stehen und blickte über ihre Schulter.
    Auf dem Anger war nichts zu sehen als ein Küchengehilfe im fleckigen Arbeitskittel, der auf dem Rand der steinernen Zisterne saß, ein langbeiniger Junge mit zerzausten Haaren. Sonst war der Hof leer bis auf ein paar Schafe, schmutzige Wollbündel, die den dunklen Erdboden nach Stellen mit jungem Gras absuchten.
    »Was ist?«, fragte er und legte ihr die breite Hand auf die Schulter. »Hasst du mich auf einmal, dass du so ohne ein Wort davonschleichst?«
    Sie schüttelte den Kopf, und ein Sonnenstrahl verfing sich in ihrem Haar. Ihre Hand stahl sich hinauf zu seiner und umschloss sie mit kühlen Fingern.
    »Nein«, antwortete sie und starrte noch immer auf den Anger hinab. »Aber ich hasse, was ich um mich herum sehe.« Er beugte sich zu ihr hinunter, aber hastig riss sie die Hand los und

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