Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
wieder. Er war viel zu neugierig, um den Mund zu halten, und die alten Mythen verrieten einfach viel zu wenig. »Wo kommt ihr her? Wie lebt ihr so? Habt ihr auch Helden und Könige und...?«
Feuerschuppe ließ ein amüsiertes Schnauben hören. »Bist ganz schön neugierig, was? Ich mach dir einen Vorschlag: Lass mich das hier noch eine Weile genießen, nachher erzähle ich dir mehr, ja? Aber erwarte nicht zu viel, unsere Helden sind anders als eure, und Könige haben wir nicht. Nein, so was haben wir nicht.« Mit einem Seufzen verstummte der Drache. Fast klang er schwermütig, wie abwesend und in wehmütige Erinnerungen versunken.
»Meinetwegen.« Ben war wenig begeistert, aber schwieg
erst einmal, zumindest für ein paar Minuten. Dann fiel ihm noch etwas ein. Nachdem der Drache sowieso schon so viel wusste, konnte er auch ganz direkt werden. »Du, Feuerschuppe, hinter welchem Fenster ist eigentlich Nicas Zimmer?«
»Zweiter Stock, das Balkonzimmer zum Garten hin.«
»Danke. Und das von Sidhy?«
»Erster Stock, zweites Fenster von links. Aber auf der Vorderseite, das kannst du von hier nicht sehen. Auf dem Fensterbrett ist eine Auflage aus Stahl für eine Armbrust montiert.«
»Aha«, brummte Ben und starrte zum Haupthaus hinüber, zum Balkon im zweiten Stock. Dort also schlief sie.
»Und, Feuerschuppe...?«
»Nachher!«, grollte der Drache. »Nachher, habe ich gesagt.«
Gut, dann eben keine Fragen mehr. Während Ben mit den Gedanken bei Nica war und die Schulterknubbel massierte, begann Feuerschuppe wieder zufrieden zu brummen.
Blumen, er musste ihr Blumen auf den Balkon legen, dachte Ben plötzlich. Es war albern und unsinnig, doch Mädchen liebten Blumen, und so sprang er auf und sagte: »Tut mir leid, ich mach gleich weiter.«
Er pflückte alle, die er finden konnte. Hauptsache viele, nachts wirkten alle Blumen grau. Feuerschuppe blieb an der Mauer liegen.
Der Balkon war Teil eines richtigen Vorbaus, an dem sich knorrige Weinpflanzen nach oben rankten. Ben klemmte sich die Blumen in den Hosenbund und griff nach einer möglichst hochgelegenen Verzweigung, sein Fuß fand zwischen der Pflanze und dem hölzernen Pfeiler Halt. Langsam mühte er sich nach oben, der Oberschenkel schmerzte wieder. Auf Höhe des ersten Stocks rutschte ihm der Blumenstrauß
aus dem Hosenbund. Ben drehte sich blitzschnell um und grabschte nach dem fallenden Strauß. Als er die Blumen fast erreicht hatte, stach ihm ein böser Schmerz in den Oberschenkel, und er verlor den Halt.
Inmitten der Blumen klatschte er zu Boden. Aus dem Haus drangen verärgerte Rufe, jemand drohte damit, rauszukommen. Verflucht, er musste verschwinden. Sofort! Mit pochenden Schmerzen im Oberschenkel spurtete er zur rückseitigen Mauer, vorbei an dem schweigenden Feuerschuppe. Er wälzte sich über die Mauer hinweg, glitt ohne zu verschnaufen ins Wasser und schwamm den Kanal entlang, folgte dem Dherrn gegen die Strömung und zog sich durch die Lücke im Gitter hinaus aus der Stadt.
Es war schon tiefe Nacht, als er die letzten Meter zu seiner Höhle zurücklegte. Nachdem er unterwegs lange an Nica gedacht hatte, dachte er nun seit einer Weile über Feuerschuppes gewachsene Schulterknubbel nach. Bestand ein Zusammenhang zwischen ihnen und der Tatsache, dass der Drache trotz Verbots gesprochen hatte? Entwickelten sich aus den Knubbeln etwa langsam wieder Flügel?
Ben war zu müde, um einen klaren Gedanken zu fassen, mit jedem schweren Schritt tauchte eine Frage in seinen Kopf auf, aber keine einzige Antwort. Er war schon zufrieden damit, dass er nicht strauchelte, Antworten würde er morgen finden. Die Fragen jedoch wollten nicht weichen. Er konnte sich nicht vorstellen, weshalb die Flügel wieder wachsen sollten, denn von einer solchen Geschichte hatte er noch nie gehört. Doch wenn es so war - kehrte dann mit den Flügeln auch Samoths Bosheit zurück?
Wenn die Flügelansätze noch weiter wuchsen, über welche
Befehle und Regeln würde sich der Drache dann hinwegsetzen?
Feuerschuppe wirkte so freundlich, aber wenn Samoths Bosheit wieder mit aller Macht über ihn kam, was würde er dann anstellen? Drachen mit Flügeln waren von ihrer Natur her Menschenfresser. Würde Feuerschuppe mit Flügeln in Trollfurt wüten und wahllos töten? Warum wuchsen diese Flügel wieder?
Bens Fragen wurden mit einem Schlag hinfortgewischt, als er um seinen Aussichtsfelsen bog.
Das Gatter lag zerbrochen vor dem Eingang.
Ben verharrte augenblicklich, schüttelte die
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