Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
verkniffenes runzliges Gesicht wie das des alten Jorque erkennen. Mauerfalken und Steinsegler nisteten in den zahlreichen kleinen Höhlungen. Ben war dort gern geklettert. Ohne Ben war der Anblick trotz aller Schönheit traurig.
Yanko warf einen Stein in den See, fluchte und stieg wieder ins Tal. Unterwegs dachte er an Nica, um die trüben Gedanken zu verscheuchen und weil er den ganzen Tag sowieso an nichts anderes denken wollte.
Und dann, eines Morgens, war die Jungfrau Ivallya verschwunden.
Weder der Bürgermeister noch seine Frau noch Byasso noch sonst wer hatte sie gehen hören. Auch die sonst so wachsamen Gänse hatten nicht geschnattert.
»Ihr nach!«, befahl Bürgermeister Odhulan seinen Dienern und den Bütteln.
»Ja, aber wohin denn?«, fragten diese.
»Den Dherrn entlang. Nach Süden, dorthin, wo ihr Orden seine Burgen hat! Was dachtet ihr denn? Zu den Trollen, oder was?«, brüllte Odhulan.
Doch wie sich herausstellen sollte, war sie tatsächlich nach Norden gegangen. Keiner wusste, was sie in den Bergen gewollt hatte, doch dort wurde sie von zwei Arbeitern auf dem Heimweg von der Mine gefunden, als die sich in die Büsche
schlagen wollten, um Wasser zu lassen. Und dort lag sie. Tot. Niedergestreckt von zahlreichen Messerstichen.
»Sie hat den Mörder ihres Ritters auf eigene Faust gesucht, um seinen Tod zu rächen«, vermutete Yirkhenbarg. »Sie war eine tapfere Frau, die ein so schändliches Ende nicht verdient hat.«
Die Männer und Frauen, die ihn hörten, nickten. Und sie schauderten, denn ihr Tod war der Beweis, dass Ben noch in der Nähe war, und wahrscheinlich nicht allein. Oder er war besessen. Einundfünfzig Einstiche hätte Oberbüttel Gunnadrakh gezählt, wollte der alte Jorque wissen. »Einundfünf zig! Das tut keiner allein, der klar im Kopf ist.«
Und der Säufer Jorque musste ja wissen, was in einem nicht mehr klaren Kopf vorging.
Sie beerdigten die Jungfrau Ivallya neben Ritter Narfried, und Priester Habemaas und Bürgermeister Odhulan hielten lange, ergreifende Reden. Fast jeder Bürger Trollfurts war zugegen, und sie alle trugen nun offen Waffen bei sich. Mehr Wut als Trauer stand ihnen im Gesicht, und nicht wenige murmelten nach der Zeremonie, Ben müsse einen Verbündeten in der Stadt haben, oder gar mehrere.
Schon auf dem Heimweg und beim Totentrunk in den Gaststätten wurden alte Feindschaften ausgegraben und die Knechte der Konkurrenten verdächtigt. Jeder, der Ben mal einen Apfel zugesteckt hatte, wurde schief angesehen oder gar offen beschuldigt. Manchmal reichte sogar die Erinnerung an ein zurückhaltendes Lächeln. Es kam zu Prügeleien, Messer wurden gezogen, und nur die beherzten Hilfsbüttel konnten verhindern, dass es weitere Tote gab. Die brodelnde Stadt verlangte nach einem Schuldigen, sie wollte jemanden hängen sehen.
In ihrem Versteck grübelten Yanko und Nica, was Ivallya veranlasst haben könnte, nun doch zu gehen. Rache an Ben schien unwahrscheinlich. Es war natürlich möglich, dass sie ihrer verhassten Gastfreundschaft einfach hatte entfliehen wollen. Aber was hatte sie in den Bergen verloren? Es ergab keinen Sinn, sich dort zu verstecken, schließlich wurden diese noch immer regelmäßig durchkämmt. Wer sich verbergen wollte, musste dies woanders tun, und das hatte sie gewusst.
Was sie dort auch gewollt hatte, Yanko hatte nun zum ersten Mal Angst. Natürlich nicht vor dem dämonisierten Ben, nein, aber vor dem wahren Mörder - der sich noch immer in der Gegend befand.
»Vielleicht hat sie ihm verraten, dass wir ihn suchen? Und jetzt ist er hinter uns her«, flüsterte Nica.
»Das glaube ich nicht«, sagte Yanko, aber das war nur so dahingesagt. Er zitterte.
Sie küssten sich wilder als sonst und klammerten sich aneinander. Yanko schob seine Hände unter ihre Bluse, um ihre nackte Haut zu streicheln. Über der linken Brust fühlte sich ihre Haut seltsam an. Ihm kam sie rauer vor, aber das konnte er nicht sicher sagen. Sie war einfach anders, die Stelle ergab beinahe ein Muster. Als Yanko sie mit den Fingerspitzen abtastete, drückte Nica seine Hand weg, küsste ihn jedoch weiter, und er dachte nicht mehr darüber nach.
IE RINNSTEINSCHNEPFE
E s war noch nicht Mittag, da saß Ben schon auf dem Marktplatz gegenüber dem Goldenen Hahn und wartete. Das große Podest war inzwischen wieder abgebaut worden, das kleine mit dem Galgen stand noch dort, die Schlinge baumelte leer und reglos herab. Ben hatte das Gefühl, sie wartete. Das war ihm
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