Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
Ivallya war noch immer der umhegte Gast des Bürgermeisters und ließ sich noch immer kaum auf der Straße blicken, und nie ohne Begleitung. Diese war von derselben nachdrücklichen Freundlichkeit wie die gesamte Gastfreundschaft Odhulans.
Yirkhenbarg hielt an einem Samstag eine derart flammende Rede, dass am Sonntag darauf Habemaas’ Predigt ganz dünn und einfallslos klang, fast kraftlos. Yirkhenbarg hatte vom Niedergang der Moral im ganzen Land - aber auch in Trollfurt - gesprochen. Von den Gefahren für Leib und Seele, die überall
dort draußen lauerten, und davon, dass sich eine tapfere Stadt wie Trollfurt so leicht nicht einschüchtern ließe.
»Nicht von einem Jungen!«, hatte er mit Nachdruck und erhobener Faust geschrien. »Nicht von einem mordenden Taugenichts. Selbst dann nicht, wenn er tausend Kameraden von seinem Schlag in den Bergen versteckt hält! Denn ein jeder von uns ist mehr wert als tausend von seiner Art! Mir macht er keine Angst, nein, uns macht er keine Angst. Soll er doch dunkle Kräfte anrufen, wir gehen auch weiterhin aufrecht durch unsere Straßen. Denn wir wissen uns zu wehren! Ich werde auch meine Mine nicht schließen, nur weil sie außerhalb der Stadtmauern liegt. Ich werde sie verteidigen mit allem, was ich habe!«
Und immer so weiter. Alle hatten gejubelt, auch Yanko hatte sich fast anstecken lassen vom großen, herbeigeschrienen Gemeinschaftsgefühl. Doch weil er wusste, dass Ben nicht in den Bergen lauerte, und auch nicht dessen tausend Kameraden, erschien ihm der ganze Aufruf zum Widerstand eher komisch. Die Vorstellung, eine ganze Stadt rüste zum Kampf gegen einen eingebildeten Feind, ließ ihn schmunzeln, und dieses Schmunzeln brach den Zauber der Rede.
Aber sonst hatte niemand geschmunzelt, und so beschloss die Stadt tatsächlich, Maßnahmen zu ergreifen. Der Bürgermeister war der Erste, der mehr Schutz für jeden forderte. Byasso erklärte Yanko, sein Vater müsse das tun, bevor es Yirkhenbarg tat, so sei die Politik eben, und Yanko begriff langsam, warum Ben Politik nicht verstanden hatte. Manches davon ergab wirklich keinen Sinn. Und so wurde in der Stadt, die von sich behauptete, keine Angst vor Ben zu haben, das Verlassen des gesicherten Bereichs innerhalb der Stadtmauer während der Nacht verboten. Wer versuchte, nach Sonnenuntergang
das Tor zu durchschreiten, wurde festgehalten. Jedem Büttel wurden nun sogar zwei Hilfsbüttel zugeteilt, und da war es ein großes Glück, dass längst weitere Minenarbeiter in die Stadt gekommen waren. Alles aufrechte, starke Männer, die anscheinend mit einer Waffe umzugehen verstanden.
Der alte Wächter des Bergtors hängte seinen Beruf endgültig an den Nagel und wurde zum Trinker.
»Der Taugenichts Ben hat ihn dazu getrieben«, sagten die Leute. »Ich habe gehört, er hat in jener Nacht den Jungen durch sein Tor aus der Stadt gelassen. Dieser Ben war dabei so aufgewühlt, dass er seinen Dolch verloren hat. Der alte Porque, der gute, hilfreiche Porque, hat es ihm hinterhergetragen, und jetzt plagen ihn Schuldgefühle, die wird er sein Leben lang nicht mehr los. Ohne den Dolch wäre der Mord nie geschehen.«
Yanko sprach den Torwächter auf dieses Gerücht hin an, doch Porque sagte, er könne sich an nichts mehr erinnern, was in der Nacht vorgefallen sei, und man solle ihn endlich in Ruhe lassen.
Zweimal stieg Yanko tagsüber zur Mine hinauf. Die schwere Tür war stets verschlossen, zum Schutz vor Bens Horden, wie Yirkhenbarg verkündet hatte. Wenn Yanko sein Ohr an das alte Holz legte, hörte er ferne, dumpfe Klopfgeräusche, auch mal ein Schaben. Die Arbeiter hatten also begonnen, nach Blausilber zu schürfen. Noch hatten sie in Trollfurt jedoch keine Funde stolz herumgezeigt.
Doch eigentlich war Yanko auf dem Berg, um zum Fonksee zu laufen, wo er mit Ben geangelt hatte. Er vermisste seinen Freund, aber ihm wollte einfach nicht einfallen, wie er den wahren Mörder finden sollte. Er war nicht einmal sicher, ob das Ben helfen würde, denn Ben lebte nun irgendwo anders.
Wenn er nicht den Wasserfall hinabgestürzt oder sonst wie zu Tode gekommen war. Immer wieder packte Yanko dieser Gedanke, auch wenn er ihn zu verdrängen versuchte.
Schniefend setzte er sich ans Ufer und starrte auf die Bergflanke gegenüber. Dies war einer der schönsten Orte, die er kannte. Die Felsen formten sich mit wechselndem Sonnenstand zu immer neuen Gestalten und Gesichtern, man konnte in ihnen Trolle, Elfen, Drachen, Wölfe, Adler und selbst ein
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