Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
du mit mir etwas trinken gehst.«
»Du siehst doch, ich muss arbeiten.«
»Dann morgen?«
»Sag mal, Junge, wie kommst du eigentlich auf die Idee, dass ich mit jemandem wie dir überhaupt rede?«
»Wieso sollte ich nicht darauf kommen? Du tust es doch gerade.«
Sie starrte ihn mit offenem Mund an.
»Morgen also«, beharrte Ben, der sich an seinem selbstsicheren Auftreten selbst berauschte. »Was hältst du von mittags dort drüben bei dem Gasthof mit dem lustigen Hahn im Schild?«
»Dem Goldenen Hahn? Das kannst du dir nicht leisten.« Herausfordernd sah sie ihn an.
»Das lass meine Sorge sein. Also?«
»Ich habe nicht ja gesagt.«
»Aber auch nicht nein.«
Mit blitzenden Augen starrte sie ihn an, doch jetzt war er fast sicher, dass ihr Mund zu lächeln versuchte. Da riss sich der Kaufmann Dicime doch von der Menge los und lief weiter, und sie musste folgen.
»Ich werde da sein«, rief ihr Ben hinterher, aber sie blickte nicht zurück, sondern wies eine andere Dienerin zurecht, die Einzige, die noch jünger schien als sie. Bevor der ganze Tross um die nächste Ecke bog, sah sie sich doch noch kurz um. Nun war Ben sicher, dass sie kommen würde. Es war seltsam, wie leicht es war, mit einem Mädchen zu reden, in das man nicht verliebt war.
Den Nachmittag über lief er noch ein wenig durch die Stadt, um sich die wichtigsten Straßen einzuprägen. Er belauschte die anderen Passanten, erfuhr aus ihren Gesprächen jedoch nichts Wesentliches. Hier und da stibitzte er eine Kleinigkeit und stahl schließlich den Geldbeutel eines unachtsamen Trinkers, der an einer Theke lauthals über die schöne Hinrichtung salbaderte. Ben brauchte das Geld für die hochnäsige Hausdienerin. Er hatte nachgesehen, die Preise im Goldenen Hahn waren wirklich hoch.
Schließlich fragte er eine alte Frau nach dem Haus des neuen Drachenreiters. Er habe die Zeremonie verpasst und würde unheimlich gern einen Blick auf den Drachen werfen.
»Haus? Palast passt wohl eher«, sagte die alte Frau und deutete die Straße hinab. »Da vorn die zweite rechts und dann immer geradeaus bis zum Stadtrand. Du kannst es nicht übersehen.«
»Aha. Aber wie sieht es denn aus?«, hakte er nach.
»Du kannst es nicht übersehen!«
Ben dankte ihr und folgte der Beschreibung. Die Alte hatte recht gehabt, dort befand sich ein Anwesen, das man nicht übersehen konnte. Zwischen den Herrenhäusern erstreckte sich eine ummauerte kleine Parkanlage, in deren Mitte ein buntes Gebäude mit zahlreichen Türmchen thronte; es wirkte wie ein Schloss der Elfen. Ausgelassenes Lachen drang auf die Straße heraus, aber die riesigen Wächter vor dem Tor sahen nicht so aus, als würden sie irgendjemanden einlassen. Schon gar keinen Fremden. Ben schlenderte pfeifend vorbei.
Dann lief er zu Aiphyron in den Wald hinaus, um ihm alles zu erzählen und einen Plan zu Schilfrückens Befreiung zu schmieden. Als er den Waldrand erreichte, fiel ihm plötzlich wieder die Tätowierung des Gehenkten ein, und er bildete sich ein, diese schon einmal gesehen zu haben. Aber wo sollte das gewesen sein? Aus Trollfurt war er eigentlich nie herausgekommen, doch ihm wollte kein Bürger seiner Heimatstadt einfallen, bei dem er diesen gewundenen grünen Drachen bereits gesehen hatte.
»Egal, wahrscheinlich bilde ich mir das nur ein«, brummte er. Viel wichtiger schien ihm, dass es so etwas wie Drachenketzer überhaupt gab. Er hatte nicht gefragt, worin ihre Ketzerei bestand, doch vielleicht wollten auch sie den Drachen ihre Flügel lassen. Vielleicht waren er und Aiphyron mit ihrem Wunsch, die Drachen wirklich zu befreien, ja nicht allein.
STADT OHNE ANGST
T rollfurt hatte sich in den letzten Wochen verändert. Dadurch, dass Ben nicht gefunden wurde, waren sich die meisten Bürger nun ganz sicher, dass er Hilfe von einer Mörderbande oder von dunklen Kräften haben musste. Oder von beiden. In der Stadt ging die Angst vor ihm um. Nur Yanko fühlte sich sicher, er wusste ja, dass Ben allein und weit weg war.
Bei ihrer Mördersuche waren Nica und er nicht recht vorangekommen. Immer, wenn sie sich im Geheimen trafen, küssten sie sich und konnten die Hände nicht voneinander lassen. Yanko nahm sich vor jeder Begegnung vor, sie würden das nächste Mal ihren spärlichen Hinweisen nachgehen, und dann küsste er Nica zur Begrüßung auf die Lippen, nur ganz kurz, und ihre Lippen waren so rot und weich und erwiderten den Kuss so zärtlich, dass alle Vorsätze sofort wieder dahin waren.
Die Jungfrau
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