Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten
drei wilde Reihen langer spitzer Zähne, unregelmäßig und klar wie Eiszapfen.
Die weißen Drachen waren so kalt, dass niemand länger auf ihnen zu reiten vermochte, kein Sattel hielt diese Kälte fern. Angeblich konnte sie jedes noch so hitzige Herz gefrieren lassen, dass es hart wurde wie Stein und bei der nächsten Erschütterung in tausend Splitter zerbarst.
Dies waren die Hunde Hellwahs, rastlose Jagddrachen, einzig dazu ausgebildet, Geächtete und Glaubensfeinde zur Strecke zu bringen, wo immer sie sich verbergen mochten. Sie waren Hellwahs Zorn und strafender Arm und bei Weitem nicht so sanftmütig wie andere Drachen.
»Wirklich bedauerlich, dass du nur diesen Topf von dem Jungen auftreiben konntest«, sagte der Abt und ließ den Blick über die Drachen wandern, die tatendurstig mit den Klauen scharrten. »Aber dann müssen wir eben hoffen, dass sich der Geruch nicht vollkommen verflüchtigt hat. Oder wir finden ihn über seine zwei kleinen Freunde.«
Den Ritter fröstelte in der Nähe der weißen Drachen. Er nickte und reichte dem Abt das Päckchen. Dieser nahm es und bedeutete den beiden Wachen an der großen Kurbel, das Gatter zu öffnen. Eifrig folgten sie dem Befehl, und ratternd
hob sich das Tor, während der Abt mit schneidender Stimme die drei größten Drachen herausrief und den vierten anwies, im Zwinger zu bleiben.
Aufgeregt hechelnd warteten die drei ausgewählten Drachen auf weitere Anweisungen. Mit ihren roten Augen starrten sie den Abt an, rührten sich jedoch nicht. Ohne einen von ihnen zu berühren, warf er dem ersten ein zerdrücktes Jungenhemd vor die Nüstern und sagte: »Such!«
Dem zweiten legte er ein grünes Kleid zwischen die Tatzen und sagte auch ihm: »Such!«
Den verbeulten Topf ließ er dem größten zwischen die Vordertatzen fallen. »Such!«
Die drei Drachen schnüffelten an den Stoffen und dem Metall, ließen ein eisiges Knurren hören, das dem roten Ritter eine Gänsehaut über den ganzen Körper jagte, und trabten los. Sie verließen das Kloster und würden nun kreuz und quer durch das Land laufen, ohne Rast auf der Suche nach den Menschen, deren Geruch sich auf ewig in ihren Nüstern festgesetzt hatte. Noch nie war ihnen jemand entkommen.
»Das wäre erledigt«, sagte der Abt und sah ihnen mit einem kalten Lächeln hinterher. »Jetzt stärke dich erst einmal, und dann erzähle mir von Trollfurt. Wir müssen es zurückgewinnen, bevor der Einfluss der Ketzer im Reich noch größer wird. Es darf keine Nachsicht mehr geben, die Jagd ist eröffnet, wo immer sie sich verstecken. Selbst wenn es zum Bürgerkrieg kommen sollte – wir können ihre Lügen nicht weiter hinnehmen. Zu Hellwahs Ehren und zum Schutz des einfachen Volks.«
ERSTER TEIL
GEÄCHTET
DER GOLDENE SCHLÜSSEL
D as ist doch Schwachsinn, du Eiterkopf!«, fluchte Ben. »Wieso sollten wir die Knochen unter dem Fenster vergraben? Was soll das bringen?«
»Schutz vor den bösen Geistern verstorbener Wilderer. Oder willst du dich im Schlaf ausnehmen lassen wie ein gepunkteter Wildbulle? Ich nicht!«, motzte Yanko.
»Ich auch nicht!«, rief Ben. »Aber das ist doch Unsinn! Die Geister von Wilderern kommen immer durch die Tür, sie sind dazu verflucht, sich nach ihrem sündigen Leben an die Regeln des Anstands zu halten. Wir müssen die Knochen unter der Türschwelle vergraben!«
»Mach doch, was du willst. Ich vergrabe meine Knochen unter meinem Fenster!«
Keifend standen sich die beiden Freunde gegenüber. Der drahtige Ben war nur unwesentlich älter und größer, er hatte schon ebenso viele Raufereien gegen den kräftigeren Yanko gewonnen wie verloren. Unter dem verstrubbelten braunen Haar, das ihm tief in die Stirn hing, funkelten die graublauen Augen angriffslustig hervor, während Yankos dunkle Augen selbst jetzt, mitten im Streit, noch schalkhaft zu blitzen schienen, als könne er nicht einmal den ernst nehmen.
Nica saß in ihrem ramponierten weißen Kleid oben auf der bröckligen Außenwand der Ruine, das lange, leuchtend blonde Haar zu einem einfachen Knoten geschlungen, und sah mit großen dunklen Augen und einem Lächeln, das sie seit dem Tod ihres Vaters vor wenigen Wochen viel zu selten
gezeigt hatte, auf die beiden Streithähne herab. Die wenigen Strahlen der schräg stehenden Nachmittagssonne, die durch das dichte Laub des die Ruine umgebenden Waldes drangen, schienen ihr mitten in das lächelnde Gesicht. Nica fürchtete sich nicht vor den Geistern von Wilderern, schließlich besaß sie ein
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