Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten
stiegen sie die Anhöhe hinab. Im Unterschied zu den Gepflogenheiten in ihrer Heimat hatten die Ritter hier ihren Jungfrauen sogar Holzstapel aufgeschichtet, so dass sie höher standen und von den Drachen aus der Luft leichter gesehen wurden. Herr Zendhen beschloss, dies daheim zu berichten, sollten sie je den Weg zurück finden. Auch hatten die fleißigen Jungfrauen schon mit ihrer Wehklage begonnen, noch bevor die Ritter in Deckung gegangen waren. Jederzeit konnten nun die Drachen kommen. Doch anstatt sich zu verschanzen, entzündeten die beiden Gerüstetenje eine Fackel.
»Da stimmt etwas nicht«, murmelte Herr Zendhen, während Herr Friedbart begeistert vermutete: »Jetzt stellen sie
auch noch Lichter auf, damit die Drachen den Weg selbst im Dunkeln und bei Nebel finden. Was für schlaue Burschen der Orden hier hat.«
Doch die Fackeln waren nicht für Drachen mit Orientierungsproblemen bestimmt – mit ihnen setzten die Gerüsteten die hohen Holzstapel unter den Jungfrauen in Brand.
»Sag mal...«, stammelte Herr Friedbart fassungslos.
»Bei Hellwah, nein, so nicht!«, knurrte Herr Zendhen. Das Wappen der Gerüsteten sah ganz und gar nicht nach einer Sonne aus, wenn er es recht bedachte, und das meckernde Lachen, mit dem die beiden das verzweifelte Geschrei der Jungfrauen beantworteten, gefiel ihm überhaupt nicht. »Komm, Friedbart!«
Die beiden Ritter stürmten los, schwangen ihre Knüppel und schlugen die Gerüsteten im Lauf nieder, noch bevor diese wussten, wie ihnen geschah, bevor sie überhaupt daran denken konnten, ihre Waffen zu ziehen. Dann sprangen die Ritter auf die Holzstapel, die langsam zu brennen begannen, und jeder riss eine Frau von ihrem Pfahl, bevor die Flammen höher loderten.
Vor Freude weinend fielen sie ihnen um den Hals, jede küsste ihren Retter und trat anschließend ihren am Boden liegenden Peiniger mit Füßen. Dann nahmen sie ihnen gemeinsam die Waffen ab, fesselten sie und marschierten in das Dorf der beiden jungen Frauen. Reden konnten sie nicht miteinander, wieder fehlte ihnen die gemeinsame Sprache.
Jubelnd wurden sie empfangen, die beiden Gerüsteten wurden sofort eingesperrt und wüst bespuckt. Es waren Hasendiebe und Rattenohrsammler, wenn Herr Friedbart die eifrigen Gesten eines Weißbärtigen richtig deutete, doch Herr Zendhen zweifelte das lächelnd an.
Noch am selben Abend wurde ein Fest gefeiert, bei dem die beiden Frauen und Ritter mit Blumen beworfen wurden. Sie verstanden nicht, was für ein Brauch das war, doch alle wirkten glücklich, es wurde viel getrunken und gelacht, Schultern geklopft und Wangen getätschelt. Ältere Frauen verdrückten die eine oder andere Träne, und spät in der Nacht wurden Herr Zendhen und Herr Friedbart von den beiden Frauen mitgeschleift, ein jeder in eine andere Hütte, in ein anderes Bett.
Mit schwerem Kopf erwachten sie spät am folgenden Tag, und es dauerte noch weitere drei Tage, bis sie begriffen, dass sie nun verheiratet waren. Es waren wirklich schöne, freundliche Frauen, und so nahmen die beiden Ritter tapfer ihr Schicksal an und beschlossen, der Orden könne auch ohne sie mit drei Kindern fertigwerden. Glücklich begannen sie, die fremde Sprache zu lernen.
BORIS KOCH, Jahrgang 1973, wuchs auf dem Land südlich von Augsburg auf, studierte Alte Geschichte und Neuere Deutsche Literatur in München und lebt heute als freier Autor in Berlin. Er ist Mitveranstalter der phantastischen Lesereihe Das Stirnhirnhinter-Zimmer und Redakteur des Magazins Mephisto . Zu seinen Buchveröffentlichungen gehören die Fantasy-Romane Der Drachenflüsterer und Der Königsschlüssel (gemeinsam mit Kathleen Weise), der mit dem Hansjörg-Martin-Preis ausgezeichnete Jugendkrimi Feuer im Blut sowie der dunkle Mystery-Roman Gebissen.
Mehr zu Autor und Werk unter:
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Originalausgabe 4/2010
Redaktion: Catherine Beck
Copyright © 2010 by Boris Koch
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Umschlagillustration und Innenillustrationen: Dirk Schulz
eISBN : 978-3-641-04314-8
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