Der Drachenthron: Roman (German Edition)
blickte durch eine Lücke zwischen den Bäumen. Das Tal erstreckte sich tief unter ihm und sah genauso aus wie jedes andere im Weltenkamm.
Na großartig! Das hat mir echt weitergeholfen. Sollen wir jetzt den ganzen Weg wieder zurücklaufen?
Er blieb lange dort sitzen und starrte in die Ferne, bis er schließlich etwas murmelte und Sollos keine Antwort gab und ihn plötzlich die schmerzhafte Erkenntnis traf, dass sein Cousin für immer von ihm gegangen war. Die beiden hatten einen Großteil ihres Lebens nur in Gesellschaft des anderen verbracht, obwohl es nicht immer so gewesen war. Sie hatten die Reiche durchstreift und sich als Söldner verdingt, aber hier waren sie geboren, hier im Weltenkamm. Sie hatten vermutlich ein Dutzend Drachenritter auf dem Gewissen, allerdings nur, weil andere Drachen – ritter sie dafür bezahlt hatten.
Und jetzt war Sollos fort. Die Abmachung mit Feldmarschall Nastria war hinfällig geworden, und er war wieder genau an dem Punkt angelangt, an dem alles begonnen hatte. Er hatte seinen Bogen, seine Messer und seinen Verstand, was eigentlich ausreichen sollte, um in diesen Tälern zu überleben. Er war den armen Narren nichts schuldig, die er in der Schlucht zurückgelassen hatte. Es stand ihm vollkommen frei, das zu tun, was er wollte.
Und dennoch war er gefangen. Er konnte nicht vor dem weglaufen, was er und Sollos gewesen waren. Jedenfalls nicht allein. Nicht solange Reiter Rotznase am Leben war. Und dann war da noch der Drache, und es gab einen Hoffnungsschimmer, den er nicht in den Wind schlagen konnte, egal wie unwahrscheinlich es war. Gefangen. Ganz und gar gefangen. Er wollte Rache üben. Rache, nicht nur für Sollos, sondern für all die anderen, für jeden Outsider, der je seinen Tod in den Flammen gefunden hatte. Was bedeutete, dass er bei dem Drachen, dem Knappen und der unbekannten Frau bleiben musste.
Was bedeutete, dass er sich um sie kümmern und ihnen Nahrung beschaffen musste.
»Verdammt!«
Sein Schrei hallte im Tal wider und verklang, einsam und ungehört. Kemir seufzte, stieg von seinem steinernen Hochsitz und spannte den Bogen. Er brauchte ein paar Stunden, um ein anständiges Essen zu erjagen, und eine weitere, bis er das Tier gehäutet und ausgenommen hatte. Die Schlucht hinaufzuklettern dauerte doppelt so lang wie der Hinweg, und als Kemir die anderen erreicht hatte, war er erschöpft und hungrig. Soweit er das beurteilen konnte, war er etwa zehn Stunden fort gewesen, und in dieser Zeit hatte sich keiner der drei gerührt. Vielleicht hatte sich die Frau kaum merklich gedreht, aber das war auch schon alles. Er warf sich auf den Boden und schloss die Augen.
»Ist dein Drache in der Lage, ein Feuer für uns zu ent – fachen?«, fragte er.
Der Knappe schüttelte den Kopf. »Sie befindet sich in einer Art Kältestarre. Sie fallen in diesen Zustand, wenn sie verletzt sind. Sie wird so lange schlafen, bis es ihr besser geht.«
»Wie lange wird das dauern?«
»Bei einer gebrochenen Rippe zwei oder drei Wochen.«
Kemir schlug die Augen auf und blickte zum Himmel hoch, der von den Felswänden der Schlucht eingerahmt wurde. Er lachte. »Zwei oder drei Wochen?«
»Ja.«
»Also müssen wir uns in der Zwischenzeit bloß vor Königin Sheziras Reitern verstecken und dürfen nicht verhungern. Oh, und wir können nicht von diesem Ort weg, weil ihr beide ansonsten an Überanstrengung sterben würdet.« Er schloss kopfschüttelnd die Augen. »Hol dich der Teufel, Drache. Hol dich der Teufel wegen allem, was passiert ist!« Und dann machte er sich daran, die anderen am Leben zu halten.
Der Knappe war nutzlos. Er saß den ganzen Tag neben Schneeflocke und streichelte ihr über die Schuppen. Die Frau verbrachte ihre Zeit damit, mit offenem Mund in die Leere zu starren. Oder sie zitterte und schüttelte sich schreiend und murmelte wirre Dinge, die keinen Sinn ergaben. Ein Fieberanfall, dachte der Söldner, doch er hielt so lange an, dass Kemir überzeugt war, sie läge im Sterben. Aber das tat sie nicht, und letztlich fiel das Fieber. Als es ihr endlich wieder besser ging, hatte sie zumindest eine gewisse Vorstellung davon, was zum Überleben vonnöten war. Nach den ersten paar Tagen im Delirium fing sie zögerlich an, Kemir zu begleiten. Sie trug nicht einmal Schuhe, aber es schien ihr nichts auszumachen, barfuß über Steine und Moos zu laufen. Tagtäglich folgte sie ihm bis zum Ende der Schlucht und wartete dann, während er auf die Jagd ging. Sobald er ein Tier
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