Der Drachenthron: Roman (German Edition)
überhaupt nichts verlangt.
40
Abschied
J ehal erwachte aus unruhigem Schlaf. Seine Träume hatten ihn aufgewühlt – die ganze Zeit war er gerannt, war beobachtet und gejagt worden, hatte sich ständig umdrehen müssen – und überall, egal, wohin er rannte, brannten die Mauern, die Bäume, selbst die Flüsse zerschmolzen, und die Hitze zwang ihn erneut zum Weiterlaufen.
Er schlüpfte aus dem Bett und tappte zum Fenster. Kazah, sein Kammerpage, war auf seinem Stuhl zusammengesackt und schnarchte lautstark. Jehal öffnete die Fensterläden, um Licht hereinzulassen. Kazah rührte sich nicht. Und genau diese Eigenschaft schätzte der Prinz besonders an dem Jungen. Abgesehen davon, dass er taubstumm war und von einer Ergebenheit gesegnet, die Jehals Jagdhunde vor Scham erbleichen ließ, schlief Kazah wie ein Toter. Jehal könnte eine nächtliche Orgie feiern, und der Junge würde nichts davon mitbekommen.
Draußen kroch die Sonne allmählich über den Horizont. Schiffe schaukelten an der Flussmündung des Furienstroms. An manchen Stellen schien das Wasser zu brennen, in der frühmorgendlichen Sonne zu lodern. Jehal erschauderte und drehte sich um. Der Anblick erinnerte ihn zu sehr an seine Träume. Doch eines war seiner Aufmerksamkeit nicht entgangen: Auf dem Fensterbrett kauerte kein kleiner goldener Drache mit rubinfarbenen Augen.
Er trottete zurück ins Bett, setzte sich, zog einen weißen Seidenstreifen unter dem Kopfkissen hervor und verband sich damit die Augen. Seine Sicht verschwamm, schimmerte und drehte sich, und dann war er auf einmal an einem anderen Ort. Er war im Turm der Lüfte im Adamantpalast. In Zafirs Schlafgemach, versteckt unter ihrem Bett.
Er lauschte. Und hörte leises Atmen. Ihr Atmen. Entspannt und ruhig, als schliefe sie. Er hörte kein Schnarchen. Wäre Hyram bei ihr, hätte er Schnarchen hören müssen. Doch Hyram kam nur selten zu ihr, und wenn er es tat, blieb er nie lange. Normalerweise ging Zafir zu ihm und schlüpfte dann in ihr eigenes Bett, sobald er eingeschlafen war. Gelegentlich, wenn sie mitten in der Nacht in ihr Schlafgemach zurückkehrte, barfuß, die Kleider an den Körper gepresst, sah sie unendlich traurig aus. Zuweilen wütend. Und dann wiederum schaute sie sich im Zimmer um und suchte nach dem kleinen goldenen Drachen, stellte sich nackt vor ihn hin und warf ihm eine Kusshand zu oder tat so, als müsse sie sich übergeben oder würde jemandem die Kehle aufschlitzen. Ob es ihm oder Hyram galt, konnte Jehal nicht mit Sicherheit sagen.
Manchmal suchte sie auch am Morgen nach ihm, und wenn sie beide allein waren, flüsterten sie geheime Botschaften in kleine goldene Ohren und beobachteten einander durch kleine rubinrote Augen.
Aber erst später. Jetzt war es noch viel zu früh für Zafir. Unter ihrem Bett reckte der kleine goldene Drache den Kopf und trippelte über den Fußboden. Dann schlug er so schnell mit den Flügeln, dass sie nur mehr als verwischte helle Wölkchen wahrnehmbar waren, und erhob sich in die Lüfte, bevor er sich am Kopfende des Bettes, nur ein paar Zentimeter von Zafirs Gesicht entfernt, niederließ und auf sie hinabstarrte. Jehal holte tief Luft. Sie schlief fest. Manchmal war sie im Schlaf atemberaubend schön. Er konnte sie stundenlang ansehen.
Doch stattdessen schüttelte er sich, zog die weiße Seide von den Augen und stopfte sie zurück unters Kopfkissen. Anschließend nahm er den anderen Seidenschal zur Hand, den schwarzen.
Nun, meine Liebste, lass uns mal sehen, wem du heute nachspionierst.
Die Antwort überraschte ihn nicht. Zafirs taiytakischer Drache hatte sich in Lystras Zimmer versteckt, wo er sich für gewöhnlich befand. Zafir hatte anscheinend nichts Wichtigeres im Sinn, als herauszufinden, wie oft er sich in Lystras Bett herumtrieb. Was natürlich schön vorhersehbar war. Jehal grinste in sich hinein und stieß gegen Kazahs Stuhl. Das Problem mit Zafirs Eifersucht war, dass sie eine Herausforderung für ihn war. Er wollte unbedingt wissen, wie oft er mit seiner Gattin schlafen konnte, ohne dass seine Geliebte und ihr Drachenspion ihn dabei erwischten.
Andererseits war es erschreckend einfach. Hätte sie es ihm jedoch schwerer gemacht, hätte er sich womöglich noch öfter mit seiner Frau vergnügt.
Er trat erneut gegen Kazahs Stuhl. Der Kammerpage schreckte auf und kippte dann zur Seite, bevor er sich wieder aufrappelte, sich stocksteif hinstellte und salutierte.
Nachricht an meine Frau . Jehal und Kazah besaßen
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