Der Drachenthron: Roman (German Edition)
derart in Gedanken versunken gewesen, dass er Zafir überhaupt nicht bemerkt hatte. Sie saß in dem kleinen Vorzimmer, das ihre Privatgemächer vom Treppenaufgang trennte.
»W-Was tust du hier?«
Zafir erhob sich. Sie senkte sittsam den Blick und zeigte ihm, was sie in Händen hielt. »Sticken, Mylord.«
»Sticken?« Hyram schüttelte den Kopf. »Und i-ich bin nicht dein L-Lord.« Gleich nach der Hochzeit hatte sie sich angewöhnt, ihn mit dieser Anrede anzusprechen. Anfangs hatte es ihm gefallen, aber jetzt wirkte es, als sei sie seine Dienerin. Beinahe hätte man glauben können, sie wollte eine Mauer zwischen ihnen errichten.
»Ist es nicht das, was du willst? Soll ich etwa nicht ruhig in meinem netten Turm der Lüfte sitzen und Däumchen drehen, während du über die Reiche herrschst?«
»Eines dieser R-Reiche gehört dir, Zafir. Das musst du nicht aufgeben.«
»Die anderen Könige und Königinnen erwarten es aber von mir. Dieses Opfer muss ein Sprecher nun mal bringen.«
»D-Du könntest es a-anders machen …« Er stockte. Das war Unsinn. Und nicht der Grund, weshalb er all die Stufen heraufgekommen war. »D-Du hast mich hergebeten, meine Königin. W-Wegen der Elixiere?«
»Ja.« Lächelnd bat ihn Zafir in ihre Gemächer. Vom Vorraum aus führte eine weitere Treppe zum höchsten Zimmer des Turms, dem Ankleideraum der Königin. Den Rest des Stockwerks nahm ein großes, nach allen Seiten hin offenes Audienzzimmer ein. Oder besser gesagt Schlafzimmer, in das es sich in jüngster Zeit verwandelt hatte. Zafir schnippte mit den Fingern. Ein Mann kam mit zwei Kelchen herbeigerannt. Für einen Diener ist er sehr groß und unbeholfen , dachte Hyram. Auch das Gesicht war ihm fremd.
»Dein Dienstbote ist n-neu.«
»Man kann ihn kaum einen Dienstboten nennen, Mylord. Er ist eben erst angekommen und hat dir ein Geschenk mitgebracht.« Sie nahm die Kelche und reichte Hyram einen, bevor sie sich wieder setzte und mit ihrer Stickarbeit fortfuhr.
»Ein G-Geschenk? Ich weiß von keinen R-Reitern, die in der Nacht in m-meinem Nest gelandet sind.«
» Deinem Nest, Mylord? Und ich habe nie behauptet, dass er auf dem Rücken eines Drachen gekommen ist.«
Hyram schnupperte an dem Kelch, den Zafir ihm gegeben hatte. Er riss die Augen auf. »D-Du hast also doch mehr!«
»Ja, Mylord. Trink. Wir haben nun genügend. Ich habe mit Prinz Jehal eine Übereinkunft getroffen.« Hin und wieder blickte sie beim Reden zu Hyram hoch, aber zumeist waren ihre Augen starr auf ihre Finger und die Nadel gerichtet, mit der sie den Stoff durchbohrte.
»Die Viper.« Allein seinen Namen zu hören glich einem Dolchstoß. »W-Welche Art von Ü-Übereinkunft hast du getroffen, Mylady?«
»Eine, die mir sehr gelegen kommt.«
»Es gehen G-Gerüchte um, Zafir.«
»Gerüchte, Mylord?« Sie hielt mitten in der Bewegung inne und blickte wie ein Unschuldslamm zu ihm hoch. Für einen Moment fragte sich Hyram bestürzt, was er da tat. Er hatte doch alles, oder nicht? Alles, was er wollte. Warum es mit haltlosen Anschuldigungen verderben?
Aber es war die Viper, und aus diesem Grund musste er es wissen, selbst wenn es alles zerstören würde. »Ja, Mylady. Gerüchte. Über dich und J-Jehal.«
»Der Jehal, der meine Mutter ermordet hat?« Sie sah ihn eindringlich an.
»Das habe ich n-nicht vergessen, Mylady.«
»Trink dein Elixier, Mylord. Erst einmal solltest du wieder ein wenig zu Kräften kommen.« Lächelnd erhob sie sich und ging auf ihn zu. »Ich habe tatsächlich eine Über – einkunft mit Jehal. Wenn du es wünschst, werde ich dir alles erzählen.« Flüchtig berührte sie seinen Arm, bevor sie sich hinter ihn stellte und die Hände auf seine Schultern legte. Hyram seufzte und nahm einen kräftigen Schluck, während ihre Finger seine Muskeln bearbeiteten. »Du musst erschöpft sein.«
»Ja.« Hyram setzte den Kelch an die Lippen und leerte ihn. Beinahe augenblicklich spürte er, wie das Gebräu durch seinen Körper strömte, heiß und kraftvoll.
»Das ist die Abmachung, die ich mit Jehal getroffen habe. Es wird keine Elixiere mehr für dich geben. Nie wieder.« Ihre Hände hörten nicht auf, ihn zu massieren. »Deine Krankheit wird einfach ihren Lauf nehmen, so wie bei König Tyan. Ich werde Sprecherin sein, Jehal mein Lieb – haber. Und zu gegebener Zeit wird er mein Nachfolger werden. Und du, Mylord, wirst schön am Leben gehalten, als Gefangener deines eigenen Körpers, der gezwungen ist, das alles mitanzusehen.«
Ein taubes Gefühl
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