Der Drachenthron: Roman (German Edition)
schwimmen, Semian?«
»Am Feuer vorbei aus dem Höhleneingang, Hoheit.«
»Und dann? Glaubt Ihr etwa, wir könnten uns einfach den Fluss hinabtreiben lassen, ohne dass die Drachen uns bemerken würden?«
»Genau das denke ich«, sagte Semian. Er hob seinen Schild hoch und steckte zwei Finger durch ein Loch, das in die Drachenschuppe gebohrt war. Dann zeigte er Jaslyn die beiden Laschen daneben. »Wenn die Zeit kommt, legt Ihr Euch auf dem Rücken ins Wasser, Hoheit. Haltet Euch an den Riemen fest und drückt Euren Mund an das Loch. Der Schild geht nicht unter, und Ihr könnt atmen. Schwimmt nicht, sondern lasst Euch treiben. Lasst Euch von der Strömung mitreißen.«
»Wenn die Zeit kommt?«
Semian legte den Rest seiner Rüstung ab und watete tiefer ins Wasser. »Falls die Glutsoldaten aus irgendeinem Grund scheitern sollten, werde ich versuchen, die Drachen abzulenken. Wenn ich nah genug an Matanizkan herankomme, damit sie meine Stimme hört, wird sie mir vielleicht noch gehorchen. Ihr werdet wissen, ob es mir gelungen ist. Dann werdet Ihr Euch auf den Weg machen.«
»Sie werden Euch kriegen.« Jaslyn starrte ihn eindringlich an. In den Rauchschleiern konnte sie jetzt nur noch den Umriss seines Kopfes und der Schultern ausmachen, die aus dem Wasser hervorschauten. Auf einmal verstand sie, dass er dies allein ihretwegen tat. Das war kein Plan, den die Alchemisten geschmiedet hatten, das hier war sein Plan. Er wollte sie retten. Bei dieser Erkenntnis wurde ihr ganz schwindelig. Beinahe hätte sie ihm befohlen, nicht zu gehen, hielt dann jedoch inne. Höchstwahrscheinlich würden sie alle so oder so dran glauben.
»Wenn ich schon sterben muss, will ich die Regeln wenigstens selbst bestimmen«, sagte er. Das waren ihre eigenen Worte gewesen, als sie darauf beharrt hatte, die Soldaten zu begleiten und einen Fluchtversuch zu wagen. Semian war nun fast vollständig entkleidet, trug lediglich ein Schwert an der Taille, ein Fläschchen an einer Kordel um den Hals und einen Schild von der Größe einer Tür. Jaslyn beobachtete sprachlos, wie er sich rücklings ins Wasser legte und den Schild über sich zog.
Heller Wahnsinn ! Sie biss sich auf die Lippe und sah zu, wie er gehorsam in den Tod ging.
62
Der Zerfall
D ie Treppe zum obersten Geschoss des Turms der Lüfte hinaufzusteigen fiel ihm schwerer als noch vor einer Woche. Als Hyram die Hälfte hinter sich gebracht hatte, machte er eine kurze Pause und schöpfte Atem. Er blickte auf seine Hände. Sie zitterten. Er konnte das Beben auch in seinen Beinen spüren, und allmählich beeinträchtigte es ihn sogar wieder beim Sprechen.
Fällt es mir schwerer aufgrund der Krankheit oder der Dinge, die ich nun weiß?
Nein, das stimmte nicht. Er wusste gar nichts. Er hatte lediglich einen Verdacht.
Nein, das war ebenfalls nicht ganz richtig. Er wusste , dass Prinz Jehal ihm seine Stimme gegeben hatte. Er wusste , dass Jehal seinen Pakt mit Shezira gebrochen und Zafir zur Sprecherin gewählt hatte. Und er wusste , was Jehal gesagt hatte, dort in der Halle des Sprechers.
Er wusste ebenfalls, was man ihm ins Ohr geflüstert hatte: dass Jehal und Zafir ein Verhältnis hatten. Anfangs hatte er sich strikt geweigert, das Gerede zu glauben. Dann hatte er die Quelle des Gerüchts ausfindig machen wollen. Er konnte nicht mit Gewissheit sagen, wer es in die Welt gesetzt hatte, aber es schien seinen Ursprung im Turm der Abenddämmerung zu haben, was bedeutete, dass es von Shezira stammte. Er hatte es als missgünstige Verleumdung abgetan, einen letzten verzweifelten Versuch, Zafir in ein schlechtes Licht zu rücken und die Entscheidung der Könige und Königinnen zu kippen. Doch das hätte nie funktioniert. Silvallan wäre es egal, und Narghon würde sich über die Neuigkeit womöglich sogar freuen.
Es ist zu spät, Shezira. Ich könnte es nicht mehr ändern, selbst wenn ich wollte.
Hyram setzte seinen mühsamen Fußmarsch die Treppe hinauf fort und erreichte schließlich sein Ziel. Normalerweise herrschte im Turm ein lebhaftes Treiben, und Dienstboten hasteten lärmend zwischen den Etagen hin und her, aber heute war alles ruhig, und der Turm wirkte beinahe verlassen. Die Tür zu den beiden obersten Stockwerken wurde bewacht. Die Soldaten ließen ihn sofort eintreten, aber sie waren nicht immer hier gewesen. Ich muss sie im Auge behalten. Ich muss wissen, wohin sie geht. Ich muss wissen, was sie tut und wen sie trifft .
»Mylord.«
Hyram blieb abrupt stehen. Er war
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