Der Drachenthron: Roman (German Edition)
Wut. Sie ist die per – sonifizierte Strenge, Spaß ist für sie ein Fremdwort. Ich muss meinen Vorfahren danken, dass ich nicht sie heiraten muss. Sie wird bei der Hochzeit eine echte Stimmungskanone sein. Bei dem Gedanken lief ihm ein Schauder den Rücken hinab. Es gab gewisse Pflichten, die älteren Schwestern in diesen besonderen Zeiten oblagen. Arme Prinzessin Lystra …
»Entschuldigt, Eure Hoheit, aber dürfte ich fragen, was dieses Geräusch verursacht?«
Verwirrt runzelte er die Stirn. »Wie bitte?«
Lystra sah ihn wieder eindringlich an. »Woher kommt dieses Geräusch, Eure Hoheit?«
Jehal legte den Kopf schief. »Es tut mir leid, Prinzessin Lystra, aber ich höre nichts.«
»Sie meint das Meer«, murmelte Shezira.
Für einen Moment hätte sich Jehal beinahe vergessen. »Habt Ihr …?« Noch nie das Meer gesehen?
Lystra senkte verlegen den Kopf. »Ich habe das Sandmeer und das Salzmeer gesehen, Eure Hoheit.«
Jehal lächelte. »Und ich habe keines der beiden bisher zu Gesicht bekommen, und sie sind zweifelsohne gewaltig und großartig. Wir haben eine andere Art Meer hier, und ich werde es Euch auf der Stelle zeigen.« Er warf Königin Shezira einen Blick zu. »Wenn Eure Heiligkeit erlaubt.«
Shezira nickte kaum merklich. Lord Meteroa und die Stewards des Klippennests würden sich zweifelsohne wegen der Abweichung vom strikt vorgegebenen Zeremoniell die Haare raufen, aber Jehal konnte nicht anders. Sie hat noch nie das Meer gesehen!
Er führte sie ums Klippennest herum zum Rand der Felsen, wo das von einer unvorstellbaren Kraft zerklüftete Land steil abfiel.
»Seid vorsichtig, Eure Hoheiten. Die Klippen sind gefährlich. Es geht tief hinab, und viele Menschen sind hier im Laufe der Jahre schon zu Tode gekommen. Dem Meer scheint eine unwiderstehliche Anziehungskraft innezuwohnen.« Er blieb einen Meter vor dem Abgrund stehen und reichte Prinzessin Lystra die Hand. »Das Meer, Eure Hoheit. Das Unendliche Meer der Stürme.«
Lystra nahm seine Hand, und geschwind drückte er sie sanft, in der Hoffnung, Königin Shezira bekäme nichts davon mit.
»Es ist … atemberaubend.« Die Steilklippen fielen dreißig Meter schroff zum Wasser ab, während sich am Grund der Bucht tosende Wellen gegen den Stein brachen. Das Meer war endlos, ein aufgewühltes Gewirr aus weiß gekrönten Wellen, die so weit reichten, wie das Auge blicken konnte, und sich mit dem grauen Dunst des weit entfernten Horizonts vermischten. Ein riesiges Monster, das manchmal selbst einen Drachen klein und zahm erscheinen ließ. Jehal lächelte Lystra an. Hier oben am Rand der Klippen konnte man die Gischt spüren und die salzige Luft schmecken. Lystra starrte mit weit aufgerissenem Mund auf das Naturschauspiel. »Es scheint kein Ende zu haben! Wie das Sandmeer, nur dass es aus Wasser besteht!«
Jehal bedachte sie mit einem nachsichtigen Lächeln. »Die Taiytakei behaupten, wenn man lang genug segelt und den schrecklichen Stürmen standhält, erreicht man auf der anderen Seite des Meeres fremde Länder, die so weit entfernt liegen, dass man erst einmal von einem Ende der Reiche zum anderen reisen müsste, um auch nur eine leise Ahnung von der gewaltigen Distanz zu bekommen.« Im Stillen beglückwünschte er sich. Da! Das hat doch kein bisschen herablassend geklungen.
»All das Wasser …« Lystra wagte sich noch einen Schritt näher an den Felsrand. Jehal packte ihre Hand nun fester, und sie blieb stehen. Die Klippe stürzte senkrecht hinab ins Meer.
»Es gibt einen Fußpfad auf der anderen Seite des Klippennests, der bis zum Wasser führt«, sagte er. »Die Stufen sind ausgetreten und rutschig, und der Weg ist tückisch, doch dort unten gibt es eine Höhle, die man nur über diese Treppe erreicht. Um ein echtes Gefühl für die unbändige Kraft der Wellen zu bekommen, die gegen den Fels krachen und die Gischt hoch in die Luft spritzen, gibt es keinen besseren Ort als diese Höhle. Eines Tages werde ich Euch dorthin bringen.«
Auf einmal schritt Jaslyn bis zum Felsrand und blickte hinab. Einen Moment lang kam es Jehal vor, als würde sie schwanken und vom Wind erfasst werden, der die Klippenwand heraufpeitschte. Doch selbst wenn dem so war, hatte sie sich rasch wieder im Griff, und im nächsten Augenblick ließ Lystra seine Hand los und stellte sich lachend neben ihre ältere Schwester.
13
Furia
S hezira hatte keine andere Wahl, als sich auf die Zunge zu beißen und ihren Ärger hinunterzuschlucken. Sobald sie das
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