Der Drachenthron: Roman (German Edition)
…
Draußen rollte die Landschaft vorbei – Sandstrände, kleine Bauernhöfe und Dörfer, Felder mit Vieh und Korn, Fuhrwerke und Ochsenkarren, Männer, die am Stock gingen und mit offenem Mund zu ihnen herüberstarrten, während die Wagen vorbeifuhren. Heiß , kam es Shezira in den Sinn, während ihre Augenlider immer schwerer wurden. Ich hatte vergessen, wie heiß es im Süden ist.
Sie döste ein. Als sie wieder erwachte, war die Sonne dunkler, und das Geräusch der Wagenräder auf der Straße hatte sich verändert. Kopfsteinpflaster .
Mit einem Schlag war sie hellwach, setzte sich auf und blickte aus dem Fenster. Sie fuhren nun zwischen Häusern hindurch, die sich so dicht aneinanderdrängten, dass sie wie übereinandergestapelt aussahen. Die Gebäude neigten sich gefährlich weit zur Straßenmitte und schienen immer näher zu kommen, bis sich die Dächer beinahe berührten und die Sicht auf den Himmel versperrten. Hier und da wurde die Düsternis von Straßenkreuzungen durchbrochen, und helle Sonnenstrahlen berührten den Boden, während die Wagen durch die Stadt rumpelten. Die Straßen führten bergab, schlängelten sich in Richtung des Meeres, und bei jeder Kurve erhaschte Shezira einen kurzen Blick auf den Hafen, auf Masten, sich kräuselnde Wellen und die Sonne, die das Wasser zum Funkeln brachte. Das Meer, das durch die gewundene Bucht vom Wind geschützt war, lag still und ruhig da. Lystra konnte sich von dem herrlichen Anblick nicht losreißen.
»Hier sieht es aus wie bei den Spiegelseen!«
Shezira nickte. Die Aussicht von König Tyans Palast, der auf einer Bergkuppel oberhalb der Stadt erbaut worden war, übertraf das hier sogar noch. Eine dunkle Erinnerung stieg in ihr hoch, wie sie, auf den Schultern eines anderen sitzend, über die Mauer gelugt und sich über die unbekannte Fremde gewundert hatte. Die Schiffe mit ihren Flaggen und Masten und gehissten Segeln waren ihr wie sonderbare Meeresungeheuer vorgekommen, und all die Kräne um die Hafenmauern waren für sie wie ein Wald voll seltsam anmutender Bäume ohne Blätter gewesen. Und der Geruch, der Geruch des Meeres, der trotz des überwältigenden Gestanks der Stadt in ihre Nase gestiegen war … Sie war damals fünf, vielleicht sechs Jahre alt gewesen.
»Du wirst hier viele eigenartige Wunderdinge zu Gesicht bekommen, Lystra. Lass dich überraschen, aber lass es dir nicht anmerken, denn ansonsten wird man dich für einen Einfaltspinsel halten.«
Jaslyn schnalzte missbilligend mit der Zunge und verdrehte die Augen, aber Shezira wusste, dass Lystra sie verstanden hatte.
»Deine Augen müssen bei allem, was du siehst, funkeln vor Verblüffung, doch kein Laut darf über deine Lippen kommen. Wenn du diesen Ratschlag befolgst, wird Prinz Jehal alles tun, was du befiehlst.« Sie lachte beim Gedanken an Antros. »Und er wird es nicht einmal wissen.«
»Solange du schön brav die Beine breitmachst, wenn ihn die Lust überkommt, und ihm viele Söhne schenkst«, murmelte Jaslyn, und am liebsten hätte Shezira ihr eine Ohrfeige verpasst. Sie hielt sich jedoch zurück, da der Wagen allmählich langsamer wurde. Im nächsten Augenblick wurde die Tür geöffnet, und Prinz Jehal stand vor ihnen.
»Eure Hoheiten.« Er verbeugte sich und reichte ihnen die Hand. »Willkommen in Furia.«
Sie standen am Fuß der Treppe zu König Tyans Palast, und die Aussicht aufs Meer war ungetrübt. Im Hafen schaukelten Dutzende Fischerboote auf dem Wasser. Weiter draußen lagen drei riesige Schiffe vertäut.
»Eigentlich sollten hier natürlich Drachen sein, Eure Heiligkeit«, sagte Jehal. »Ich habe den Taiytakei erklärt, dass die nächste Sprecherin der Reiche zu Besuch kommt und ihre Tochter hier verheiratet, und dass unzählige Drachen die Luft mit ihrem Feuer erfüllen müssten. Als Entschädigung bieten die Taiytakei Euch zu Ehren das hier, Königin Shezira. Ein Anblick, der nie zuvor in irgend – einem der Reiche zu sehen war.«
Als Shezira hinaus aufs Meer schaute, wurden von den drei Schiffen winzige Feuersäulen in die Luft geschossen. Hoch am Himmel zerbarsten sie in prächtige, vielfarbig schillernde Fontänen. Shezira kam nicht umhin, die Luft anzuhalten und gebannt emporzustarren. Nie zuvor hatte sie so etwas gesehen. Sie hatte noch nicht einmal von so etwas gehört .
Das Spektakel dauerte vielleicht eine Minute. Als es vorüber war, verbeugte sich Jehal vor Lystra. »Ein blasser, kurzlebiger Abklatsch Eurer Schönheit, meine Prinzessin. Ihr werdet den
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