Der dreizehnte Apostel
Getränkebeitrag eines griechisch-orthodoxen Archimandriten, Pater Basilios, der der Londoner Universität angehörte.
»Dieses Elixier«, verkündete er mit der tiefen Stentorstimme eines Predigers, »ist ein Ouzo, den die Mönche im Kloster von Dionysiou herstellen, ein Ouzo, in dem man eine besondere Zitrusblüte von den Hängen des Berges Athos ziehen lässt . Genießt, meine Freunde, genießt!« Auch Lucy nahm sich ein kleines Glas von einem Tablett. »Welch reiches Sortiment an Spirituosen«, sagte sie höflich zu Dr. Gribbles. »Wenn ich es bis zum Jahre 2001 noch mache, bin ich einge laden zum Mallardfest, bei dem sich alle Fellows von All Souls’ um ein Mitglied scharen, das zum Lord Mallard gewählt worden ist; der Lord wird dann inthronisiert und durch die Höfe und über die Dächer getragen. Dieser stark alkoholische Abend findet seinen Höhepunkt in einem Punsch, zu dessen Ingredienzien Entenblut gehört.«
»Ich glaube, den würde ich auslassen, Sir.«
»Es ist eine große Ehre, daran teilzunehmen, meine Liebe«, fügte Dr. Gribbles hinzu, schon ein wenig beschwipst. »Findet nur einmal in hundert Jahren statt.«
Lucy bemerkte, daß Dr. O’Hanrahan den Raum durchquert hatte, um einen gerade angekommenen alten Freund zu begrüßen: Rabbi Mordechai Hersch, aufgewachsen in Brooklyn, wie sein Akzent verriet, und gegenwärtig ein hochgeschätzter Gelehrter an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Der Rabbi, schätzte Lucy, mochte in Dr. O’Hanrahans Alter sein, sah aber jünger und ausgeruhter aus, mit einer Habichtnase und einem kurzgeschnittenen grauen Bart, über den er eben nachdenklich strich. Der Rabbi und Dr. O’Hanrahan ergingen sich in Erinnerungen, und Lucy taxierte die New Yorker Art des Rabbi, der darin geübt war, Ungenauigkeiten, Irrtümer oder grobe Dummheit auf eine Weise aufs Korn zu nehmen, die jemand aus dem Mittelwesten barsch gefunden hätte. Er trug einen konservativen schwarzen Anzug und ein Käppi, die Yarmulke; er war der einzige jüdische Geistliche unter den anwesenden Akoluthen.
»Schau, wen wir hier haben, Morey«, sagte Dr. O’Hanrahan schließlich. »Eine Spionin aus Chicago, die herausfinden soll, was der arme Tattergreis Patrick O’Hanrahan so treibt, und ihn möglichst nach Hause bringen soll.«
Der Rabbi zog eine Braue hoch.
Dr. O’Hanrahan fuhr fort. »Sie sagt, sie werde sich wieder aus dem Staub machen, wenn ich ihr Einzelheiten unserer geheimen Mission mitteile.«
»Kein Glück, kleines Mädchen«, erklärte der Rabbi entschieden. Lucy seufzte und erwiderte, es sei trotz
dem nett, den Rabbi kennenzulernen.
»Sehr erfreut«, meinte der Rabbi gleichgültig.
Es trat Stille ein, als angekündigt wurde, das Dinner werde nun serviert. Das Essen fand in der langen Halle der Codrington Library statt. In der Mitte des dunklen Saals, in dem nur drei Kerzenleuchter Licht spendeten, war ein Eichentisch für zwölf Gäste üppig gedeckt. Die Bibliothek wirkte nun wie ein unheimliches Gewölbe; die Kerzen warfen Schatten auf die stummen Schreibpulte und die drohend aufragenden Bücherregale. Alle nahmen Platz; Lucy hatte Dr. O’Hanrahan rechts neben sich und Schwester MarieBerthe als Gegenüber. Ein Pater Keegan vom University College in Dublin sollte noch kommen; sein Platz blieb einstweilen leer. Ein muslimischer Gelehrter, Dr. Mehmet Abdullah, saß links von Lucy. Aus den Psalmen Davids wurde ein nicht konfessionsgebun dener Segen verlesen.
(Bei diesem Haufen vielleicht das Sicherste.)
»Herr«, fügte Lucy für sich noch hinzu, während das Tischgebet gesprochen wurde, »hilf mir, daß ich mich nicht zum Narren mache.«
(Warum nicht? Nichts wäre passender an einem Ort, wo Männer und Frauen zusammenkommen, um über unterschiedliche Dogmatik und Kirchenpolitik zu diskutieren!)
Man widmete sich dem ersten Gang. Lucy löffelte eifrig ihre Schildkrötensuppe und hörte zu, wie der Professor und der Rabbi sich über den Tisch hinweg unterhielten. Ein Diener füllte Lucys Glas mit einem Amontillado. Später, als man Entenleberpastete zu einem Pinot Noir reichte, wurde Rabbi Hersch in eine lebhafte Diskussion über künftige jüdische Ansiedlungen im christlichen Viertel Jerusalems hineingezogen. »Ich höre zu meinem Entsetzen«, sagte Dr. Abdullah, »daß viele Israelis es befürworten, den Fel sendom niederzureißen und den Tempel von Salomo und Herodes wiederaufzubauen.«
»Mnyeh, nur eine Handvoll Fanatiker«, beruhigte ihn der Rabbi, der während
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