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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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durchsichtig war, als hätte Alkyone es für die Rückkehr des Königs von Thessalien gewebt!«
    Lucy kam fast der Champagner aus der Nase, als sie sich verschluckte. »Nein, nein, so war es nicht!« Sie mimte die Zimperliche, was ihr nicht stand. »Mir ist vielmehr spät an diesem Abend eingefallen«, erklärte sie gespielt unschuldig, »daß ich ihn an Bord betrunken machen könnte, damit er nicht an Land gehen und am nächsten Morgen das Schiff verpassen konnte. Also bin ich in meinem Bademantel gekommen, aber der war kaum … durchsichtig.«
    »Der Frotteestoff schmiegte sich an ihre schöne Gestalt; Aphrodites Brüste, die Seufzer der Sehnsucht wecken !«
    Der Rabbi schürzte die Lippen, als habe er einen bitteren Geschmack im Mund.
    »Unsinn«, verteidigte Lucy weiter ihre Ehre. »Glauben Sie, ich könnte nichts Besseres bieten als diese alte Ziege?«
    O’Hanrahan steckte beschwipst eine Hand in seine Jacke wie Napoleon. »Ich könnte bei der Gelegenheit immer noch meinen Mann stehen, liebstes Mädchen …«
    Wieder erhob sich der Rabbi langsam. »Ich glaube, ich werde morgen wiederkommen, wenn ich aufwache und diese Halluzination vorbei ist.«
    »Setz dich, setz dich!« O’Hanrahan zupfte den Rabbi am Ärmel. »Wieso spielst du den alten Griesgram? Irgendjemand , Morey, steht für unsere Arbeit gerade!«
    »Arbeit?« rief der Rabbi, und sein Brooklyner Akzent war sehr deutlich zu hören. »Arbeit findet beispielsweise in der Bibliothek statt, wo ich die letzten drei Wochen verbracht habe! Wenn du mit deiner Sauftour fertig bist, Paddy – und Sie, kleines Mädchen, für Sie schäme ich mich. Sie sollten diesen diesen Schiker auf der Fährte halten! Wenn ihr fertig damit seid, eure 500-Dollar-Spielsachen zu kaufen und das Geld von wem auch immer durchzubringen, könnt ihr mich in der Hebräischen Universität anrufen. Ich mache mich jetzt auf zum Christian Science Monitor, bevor der Sabbat da ist, und liefere meine längst fällige Rezension ab, wenn ihr nichts dagegen habt.«
    Wie durch Telepathie wusste O’Hanrahan, welches Thema diese Rezension hatte. »Pater Beaufoix’ neues Buch?«
    »Richtig – es ist ein Meisterwerk, und das schreibe ich auch. Das Ergebnis lebenslanger, ernster, hingebungsvoller Forschung.« Er beugte sich zu seinem Freund hinab. »Die Art von Leben, die zu veröffentlichten Büchern führt!«
    Als der Rabbi sich wieder aufrichtete, erhob sich O’Hanrahan ebenfalls, ernüchtert und reumütig. »Morey, setz dich! Schau, auf dem Athos hat man mir meine Abzüge des Matthiasevangeliums gestohlen, deswegen musst du mir neue machen. Was konnte ich also tun, bevor ich nach Jerusalem gekommen bin?«
    »Ich bin nicht sicher, ob du einen zweiten Satz Fotos verdienst«, entgegnete der Rabbi verstimmt. »Wo werden die Abzüge diesmal landen, wenn ich dir noch einmal welche mache? Im Golf von Akaba?« Der Rabbi marschierte davon, und O’Hanrahan lief ihm nach, ging seinem Freund um den Bart und antwortete auf jede Abfuhr mit einer neuen Schmeichelei. Lucy lachte in sich hinein und stellte ihr Champagnerglas ab. Sie sah auf die Davidoff, die seit Minuten unberührt im Aschenbecher vor sich hin glimmte . Dann holte sie tief Luft und betrachtete die Gäste, die Frauen in Pelzen, die älteren jüdischamerikanischen Geschäftsleute mit den verwöhnten Töchtern … Nein, das war nicht das Leben ernsthafter Forschung.
    Lucy stand auf und trat durch die offene Doppeltür hinaus auf die Terrasse des Hotels König David, eine große, von einem Geländer eingefasste Fläche, die Blick auf eines der überwältigendsten Panoramen des Nahen Ostens bot, die Altstadt von Jerusalem, mit einer Mauer umgeben und befestigt von Suleiman dem Prächtigen, alte weiße Bastionen, die die geistlichen Bauten innerhalb der Mauer schützten: Dome, Spitztürme, Glockentürme, Minarette; die Schreine der drei großen Religionen, denen der Gott Abrahams gemeinsam ist, diese Quelle, dieser abgesteckte Anspruch des Monotheismus, diese Obsession der abendländischen Zivilisation, hier fest umklammert vom Orient.
    Wenn man auf diese Monumente sah, auf die Züge von Touristen aus aller Welt, auf das Schauspiel von ernsten Menschen, die sich zu Boden neigten, sich verbeugten, wehklagten, psalmodierten, trauerten und heulten; wenn man die Rituale der konkurrierenden Glaubensbekenntnisse betrachtete, konnte man leicht auf die Frage kommen: Warum hier, warum ausgerechnet hier?
    (Hier ist kein Fluss , kein Hafen, kein Gebirgspass ,

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