Der dreizehnte Apostel
zur Ruhe setzen«, sagte der Rabbi vorwurfsvoll.
»Ich kann nichts dafür, wenn sie ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat«, verteidigte sich O’Hanrahan.
»Ich bin öfter im Kurs aufgetaucht als Sie«, konterte Lucy. Sie wandte sich wieder dem Rabbi zu und fragte nach der Gematrie. »Ist diese ganze jüdische
Wortmagie nicht vielleicht einfach Zufall? Ich meine, wenn man lange genug mit allen Wörtern spielt, muss man ja schließlich dazu kommen, daß sie ein tiefere Bedeutung haben, nicht wahr?«
»Ja«, sagte der Rabbi langsam, »aber zu viele dieser Parallelen und Zufälle finden sich in der Thora. Hier ist ein Beispiel aus dem Buch Habakuk, eines meiner Spezialgebiete. In Habakuk 3, 2 steht: Im Zorne sei eingedenk des Erbarmens, oder rachem auf Hebräisch , das auf einen Wert von 248 kommt. Es gibt 248 mosaische Gesetze. Das Gesetz, das Gott uns gegeben hat, ist seine größte Gnade.«
»Glauben Sie«, fragte Lucy, »daß die babylonischen Gelehrten, die die Bibel zusammengestellt haben, die-se Wortmagie erfunden und dann in ihre verbesserten Ausgaben mit aufgenommen haben?«
»Könnte gut sein«, erwiderte Rabbi Hersch. »Können Sie sich vorstellen, was es für einen Gelehrten in der Antike oder im Mittelalter bedeutete, diese Magie wiederzuentdecken? Das war die Bestätigung, die man brauchte, um zu erkennen, daß Hebräisch die eigentliche Sprache Gottes war, in sich und aus sich selbst magisch, spirituell. Es war kein großer Schritt, sich vorzustellen, daß die Buchstaben und Wörter selbst magische Kräfte besitzen. Es heißt, Gott habe die Welt erschaffen, indem er seinen Namen aussprach. Der jüdische Brauch, ein Phylakterion bei sich zu tragen – Sie wissen, was ein Phylakterion ist?«
»Ja, ein Gebetsriemen.« Lucy erinnerte sich an einen ihrer peinlichsten Augenblicke, als sie am St. Eulalia in der Geschichte des Alten Testaments einmal von »Prophylaktikon« statt von »Phylakterion« gesprochen hatte. Hinter her hatte sie behauptet, sie ha be das absichtlich getan, um Schwester Miriam zu ärgern.
»Die thephallin, die mesusah, eine Gebetskapsel, die man am Türpfosten befestigt … all das verstärkt den Glauben an die Macht der Thora-Worte. Der Name Jahweh, die vier Konsonanten, das heilige Tetra gramm , der 42buchstabige Name Gottes, der 72buchstabige Name Gottes, was auch immer – alles waren mächtige Zauberworte, und daher war auch das Gebot nötig, den Namen Gottes nicht zu missbrauchen . Dieses Gebet hat möglicherweise weniger mit Respektlosigkeit zu tun als mit den unbekannten, unvorhersagbaren Kräften dieser Buchstaben. Moses tötete den Ägypter mit dem schem ha-mepho-rasch, dem ausgesprochenen Namen Gottes«, führte der Rabbi weiter aus. »Und frühe mystische Werke, die Jesus positiv gegenüberstehen, nahmen an, daß er den schem kannte und damit den Lazarus auferweckt habe. Aber, kleines Mädchen, sprechen Sie dieses Wort nicht aus, es sei denn, Sie haben eine reine Seele und einen vollkommen keuschen Körper.«
»Nun, damit bin ich ausgeschlossen«, murmelte O’Hanrahan.
»Was würde passieren?« fragte Lucy.
»Sie würden natürlich sterben. Ich bin außerdem nicht sicher, ob eine Frau überhaupt den schem sprechen kann …«
(Was ist mit Lilith, Adams erster Frau, Mordechai? Jahrhundertelang haben Rabbis daran festgehalten, daß Adams erste Gefährtin nicht Eva, sondern Lilith war, eine nicht so besonders tolle Schöpfung, die oft mit Adam kopulierte und die Dämonen gebar, die heute alle Frauen plagen. Sie wurde aus dem Para-dies verbannt, weil sie beschloss , daß sie der Herr sein wolle, und ihren Trotz bewies, indem sie den schem sprach. Drei Engel verjagten sie aus dem Paradies nach Ägypten, wo Lilith damit drohte, bei jeder menschlichen Geburt in der Nähe zu sein, um Schmerz, totgeborene oder missgestaltete Kinder zu bringen oder die Mutter sterben zu lassen. Deshalb tragen die Sephardim in manchen Ländern heute noch ein Amulett mit den Namen der drei Engel Se noi, Sansenoi und Saman-geloph. Und noch eine Frau benützte den schem, eine babylonische Jüdin namens Ischtahar. Der Engel Schamchasu hatte den Plan, sie zu einer Hure zu machen – sterbliche Menschen können sich nicht vorstellen, wie böse, dumm und was für eine Plage die meisten Unserer Engel sind –, und Ischtahar sprach den schem und bekam die Erlaubnis, sich in einem der niedrigeren Himmel zu verbergen.)
O’Hanrahan unterbrach, weil er beim Kellner noch eine Flasche Johannesburger
Weitere Kostenlose Bücher