Der dreizehnte Apostel
Willkommen zur Intifada, wie?« lachte er.
»Ja«, lächelte sie zurück, belustigt über den offenen Fatalismus seiner Bemerkung. Sie reichte ihm den Schekel.
»Viele, viele Freunde in Amerika, ja?«
Lucy war die Bedeutung der Frage nicht ganz klar. »Pardon?«
»Palästinenser haben jetzt viele, viele Freunde in Amerika, nicht wahr?«
»Ja, immer mehr.«
»Sie sagen es in Amerika? Sie erzählen von uns, ja?«
Lucy nahm ihre Trauben, die der Händler in eine zerrissene, schon oft benützte Papiertüte gesteckt hatte. »Ja, ich erzähle es«, sagte sie. »Viele Menschen wollen, daß die Palästinenser ein Heimatland haben.«
Der Mann verstand das Wort anscheinend nicht, aber seine Frau übersetzte hinter dem Schleier hervor für ihn, und er lächelte strahlend mit seinem zahnlosen Mund. Er suchte einen schönen saftigen Pfirsich von seinem Obststand aus und reichte ihn Lucy. »Für mich?«
»Für Sie«, verneigte er sich. »Für amerikanisches Mädchen.« Sie nickte ihm dankend zu und ging wieder zurück zur Polizeiwache und dem Auto. Wie sollte man sich das zusammenreimen? Dieses Land, das einen unaufhörlich und erbarmungslos strapazierte. In Israel dachte man in einer Stunde mehr über moralische, religiöse, ethische und politische Prinzipien nach als anderswo in zehn Jahren. Ich würde dieses irritierende Land zu gerne aus meinem Gehirn löschen, dachte sie und biss in den Pfirsich. Köstlich! Dieses gesegnete Klima brachte wirklich die wunderbarsten Früchte hervor.
Es war kurz vor fünf, Zeit, wieder zurückzufahren und genau in die Jerusalemer Rush-hour zu geraten. »Ich glaube, ich spreche für uns alle«, sagte O’Hanrahan, der nach einer Tasse Kaffee – eine freundliche Geste des Beamten, der ihn vernommen hatte – wieder frisch war, »wenn ich sage, daß es Zeit ist für einen Drink.«
YYY
Nachdem sie sich in einem Bistro in Neujerusalem bei einem Glas Wein entspannt hatten, gingen sie zum Essen in ein Feinschmeckerlokal, das von Juden aus Paris geführt wurde. Der Rabbi – als habe er beschlossen, sich von seiner sanfteren Seite zu zeigen – lud sie ein und bestellte großzügig; O’Hanrahan versprach er die beste gehackte Leber in der Stadt.
»So lange habe ich es noch nie ausgehalten ohne eine israelische gehackte Leber«, sagte O’Hanrahan, der wieder zu seiner alten Überschwenglichkeit zurückgefunden hatte. »Ich war am Rande einer crise de foie.« Lucy stöhnte, und der Rabbi tat so, als ignoriere er den Professor. »Kaffee?« fragte der Kellner. »Französische Sorte.«
»Eine Bestellung ist innigst erwünscht«, säuselte O’Hanrahan.
»Ich sehe, daß du wieder auf dem Posten bist, Paddy«, sagte der Rabbi. Anschließend gingen sie in ein Café in Neujerusalem an der Ben-Yehuda-Straße, einer Fußgängerzone, in der man wunderbar Leute betrachten konnte. Lucy, verstörter als am Vortag, fragte sich laut, ob es möglich sei, daß jemand an einem so bevölkerten und beliebten Platz eine Bombe hochgehen lassen würde.
»Natürlich ist das möglich«, sagte der Rabbi und füllte ihre Gläser erneut mit gekühltem Weißwein aus Südafrika. »Aber wir können nicht ständig in Furcht leben. Wir müssen auf Gott vertrauen. Wir werden nicht …« Aber dann brach er die unvermeidliche Grundsatzerklärung ab. Für heute war es genug!
Er wechselte über zu mystischeren, eskapistischen Themen: die Gematrie, die mystische Buc hstabendeu tung der Sephardim. Der Rabbi breitete eine Serviette aus und schrieb die zehn sefiroth und die zweiundzwanzig Konsonanten des hebräischen Alphabets darauf, die Laute summend, als wäre es das Abc: … kof, resch, schin, sin, taw … »Und jetzt ist das Lied zu Ende«, sagte er, als er am 22. und letzten Buchstaben angelangt war. »Jeder Buchstabe hat einen Wert. Alef verhält sich zu jod wie eins zu zehn, zu kof wie zehn zu hundert mal zehn, und die letzten drei sind zwei hundert , dreihundert und vierhundert.«
»Gibt es keine Werte für Vokale?« fragte Lucy.
»Was für Vokale? Wer hat Ihnen Hebräisch beigebracht? Können Sie es ohne Punkte lesen?«
»Nicht sehr gut«, gestand sie, denn sie brauchte die Markierungen zwischen den Konsonanten, die die Vokallaute anzeigten.
»Nicht sehr gut, sagt sie. Wenn Sie es mit Punkten lesen, dann können Sie es nicht lesen«, erklärte der Rabbi entschieden. »So bringt man den Studenten in Chicago Hebräisch bei? Wer war Ihr Lehrer?« Lucy deutete auf O’Hanrahan.
»Paddy, du solltest dich wirklich
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