Der dreizehnte Apostel
aus dem 14. Jahrhundert.
»Ich zahle Ihnen Geld dafür«, murmelte Underwood verschüchtert. O’Hanrahan packte ihn am Revers seines schlecht sitzenden Anzugs und drückte ihn gegen die Hausmauer. »Warum haben Sie meine Schriftrolle gestohlen?«
»Tun Sie mir nichts!«
O’Hanrahan, der erkannte, daß er einen Schwächling vor sich hatte, schüttelte ihn noch einmal durch und setzte seinen grimmigsten Gesichtsausdruck auf, um diesem Mr. Underwood gehörig Angst einzujagen. »Sie sind von Merriwether Industries, nicht wahr?«
Underwood fiel fast die dicke runde Brille von der Nase. »Ja, in gewisser Weise …«
»Was will ein multinationaler Konzern mit meiner alten Schriftrolle?« O’Hanrahan lockerte seinen Griff ein wenig, ließ Underwood aber nicht los.
»Verstehen Sie, Mr. O’Hanrahan, mein Auftraggeber will sie haben …«
»Wer?«
Underwood schien zunächst unwillig, das zu verraten, aber als O’Hanrahan zornig die Augenbrauen hob, gab er den Widerstand auf. »Charles Merriwether, der Vorstandsvorsitzende.«
Von Mustafa al-Waswasah in Ostjerusalem hatte O’Hanrahan erfahren, daß Chester Merriwether II. der Vater des Industriellen, nach dem Zweiten Weltkrieg das Matthäusevangelium über dunkle Kanäle erworben hatte. »Also, Clem, Sie sagen mir jetzt sofort, warum Charles Merriwether meine Schriftrolle zurückhaben will?«
»Er will sie einem Freund geben.«
»Welchem Freund?« Das wusste Underwood nicht, worauf O’Hanrahan, der ihm nicht glaubte, ihn noch einmal so durchrüttelte, daß er aufschrie. »Nein, wirklich! Er hat mir nicht gesagt, für wen er sie haben will!« O’Hanrahan drohte, er werde Underwoods Brille zertreten und ihm die letzten Haare mit der Wurzel ausreißen.
Underwood schlug um sich und traf O’Hanrahan – wahrscheinlich rein zufällig – mit seinem scharfkantigen Ring im Gesicht. »O weh«, stöhnte er, entsetzt darüber, welche Folgen das sofort haben mochte.
»Sie kleiner …« O’Hanrahan hob Underwood am Kragen hoch. »Was für ein Freund – heraus damit!«
»He, nicht, hören Sie auf!« stöhnte Underwood. »Das würde er jemandem wie mir doch nicht sagen.« O’Hanrahan ließ Underwood los.
»Was meinen Sie, was die Sudanesen von Ihrem kleinen Diebstahl halten werden?« Lucy fiel ihm ein. »Haben Sie meiner Assistentin, Miss Dantan, irgendetwas getan?«
»Nein! Niemals!«
O’Hanrahan blickte sich um zum Eingang der Gas-se, von wo mehrere arabische und afrikanische Gesichter gebannt die Szene beobachteten. Im nächsten Augenblick teilte sich die Menge, und derselbe untersetzte sudanesische Soldat, den er schon kannte, erschien: Major Nessim. Hinter ihm lauerten zwei Soldaten mit Maschinenpistolen. »Mr. O’Hanrahan«, sagte Nessim, »Sie scheinen zu oft in Schwierigkeiten zu geraten.«
»Dieser Mann ist ein Dieb!« erklärte O’Hanrahan. Underwood strich seinen zerknitterten Anzug und seine schütteren Haarsträhnen möglichst vorteilhaft glatt.
»Meine Stieftochter«, behauptete O’Hanrahan, »wird der Polizei nur zu gerne bezeugen, daß dieser Mann ein Dieb ist, Major. Er ist in mein Zimmer eingebrochen und hat das hier gestohlen … Dieses Dokument, das ich im Zusammenhang mit meinen Forschungen nach Khartum mitgebracht habe.«
Der sudanesische Offizier blieb unbewegt. O’Hanrahan konnte in seinen Augen nicht einen Funken Interesse oder Sympathie für irgendeine Seite entdecken. Nach einem Augenblick des Überlegens befahl der Major seinen Männern, Mr. Underwood abzuführen, und sagte zu O’Hanrahan, er solle zurück ins Hotel El Qasr gehen und dort bleiben, bis man mit weiteren Fragen auf ihn zurückkomme.
Lucy erwartete ihn auf dem Gang vor seinem Zimmer. »Dr. O’Hanrahan!« lächelte sie. »Gute Neuigkeiten, zumindest in gewisser Weise.« Sie fing sofort an zu erzählen, ganz begeistert, daß sie ein Abenteuer überstanden hatte, während er fort war. »Ich habe von meinem Balkon aus Clem Underwood auf der Straße gesehen und bin sofort in Ihr Zimmer gerannt; ich habe das falsche Evangelium, den Köder, unter dem Bett versteckt.«
Nach dem Intermezzo in der Gasse und auf der Treppe hinauf zu seinem Zimmer war O’Hanrahan außer Atem. »Gutes Mädchen.« Er hielt den unauffälligen Behälter mit den Abenteuern des heiligen Andreas hoch. »Mr. Underwood ist mir in einer Gasse in die Arme gelaufen; er ist jetzt in den Händen der Polizei. Wo ist jetzt das richtige Matthäusevangelium , Lucy?«
»Ich hatte Angst, es bei mir im Zimmer
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