Der dreizehnte Apostel
zu behalten. Ich meine, das ganze Interesse, das die Polizei plötzlich an Ihnen hatte, hätte ja auch Teil eines Gau nerstückchens sein können, damit man Sie verhaftet, während die anderen Zeit gehabt hätten, die Zimmer gründlich zu durchsuchen.«
O’Hanrahan klopfte ihr auf die Schulter. »Sie lernen es, schneller zu schalten als diese Leute. Prima. Wo ist es jetzt also?«
»In der Besenkammer der Zimmermädchen am Ende des Flurs, hinter einer Schachtel mit Windeln und ein paar Reinigungsmitteln.« O’Hanrahan wollte nachsehen, und sie gingen den Flur entlang. Der modrige Geruch des Badezimmers und der Toiletten gestank stiegen ihnen in die Nase. Neben diesen Installationen war eine kleine Kammer, in der die Zimmerfrauen ihre Putzmittel aufbewahrten. Lucy drehte den Türknauf, aber vergebens. Einen Augenblick geriet sie in Panik. »Die Frauen müssen sie zugeschlossen haben«, sagte sie.
O’Hanrahan ging hinunter an die Rezeption. Seit er das Erscheinen der Polizei in ihrem kleinen Hotelbetrieb provoziert hatte, waren der Besitzer und seine Frau misstrauisch und verärgert. »Wo ist die Frau, die die Zimmer macht?« fragte der Professor. Vielleicht sei sie fertig mit der Arbeit und nach Hause gegangen, meinte die Frau des Besitzers. O’Hanrahan stieg wieder die Treppe hinauf.
»Ich habe sie gefunden!« rief Lucy und deutete auf eine kleine, gebückte Frau, die eitel den mottenzerfressenen Schleier von ihrem alten Gesicht und dem zahnlosen Mund hob, als O’Hanrahan näher kam. Sie murmelte etwas auf Arabisch .
O’Hanrahan hörte zu und entzifferte ihr Gebrabbel nur mühsam. »La la«, beruhigte er sie auf Arabisch , »wir glauben nicht, daß Sie etwas aus unseren Zimmern gestohlen haben. Dürfen wir nur einen Blick in Ihre Kammer werfen?«
Während sie der armen Frau den Gang entlang folgten, fragte sich O’Hanrahan, wie eine so alte und langsame Frau noch mit der Arbeit hier fertigwerden konnte. Als er wieder den Toilettengestank roch, kam er zu dem Schluss , daß sie wahrscheinlich nicht mehr allzu viel machte. Sie drehte sich um, erinnerte sich an ihren Schleier, hob ihn kokett und steckte den Schlüssel in die Tür.
O’Hanrahan entschuldigte sich dafür, daß sie in diese Domäne der Frauen eindrangen, und Lucy schlüpfte an der Frau vorbei in den Raum, schob die Reinigungsmittel und ein paar Handtücher zur Seite … »Es ist nicht da«, sagte sie bleich.
Ängstlich fragte O’Hanrahan die Frau, ob sie eine schmale Lederhülle gesehen habe, ungefähr fünfundvierzig Zentimeter lang. Nein, schüttelte die den Kopf. O’Hanrahan fragte sich, ob sie auf Geld aus war. Aber zu so einem komplizierten Manöver schien sie doch nicht fähig zu sein. »Fatima!« rief die Alte plötzlich. Lucy blickte O’Hanrahan nicht in die Augen.
Eine arrogant wirkende Zwanzigjährige in modernerer Aufmachung, einem langen schwarzen Rock und ohne Schleier, kam herbei. Verärgert sah sie der älteren Frau ins Gesicht. Das müssen Mutter und Tochter sein, dachte Lucy. Die beiden Frauen sprachen erzürnt auf Arabisch , und schließlich führte die jüngere Frau O’Hanrahan, Lucy und die ältere Araberin gelangweilt zu einem Abfallbeutel.
»Da ist es drin?« fragte O’Hanrahan, der sich entsetzt vorstellte, daß dieser Beutel ein paar Minuten später vielleicht im Ofen gelandet wäre. Die junge Frau zankte mit ihrer Mutter und öffnete den Beutel, und O’Hanrahan, der die Lederhülle sah, wühlte zwischen feuchten Lumpen und Essensresten nach dem Evangelium. »Gott sei Dank«, flüsterte Lucy.
Die ältere Frau hielt ihrer Tochter eine Strafpredigt. Die Tochter hatte wohl angenommen, der fremde Gegenstand in der Besenkammer sei einer der vielen Affronts, die sie von ihrer Mutter zu erdulden hatte. Als sie in O’Hanrahans Zimmer waren, reichte der Professor Lucy das Pseudoevangelium, während er den Behälter des Matthias abwischte. Dann breitete er das Evangelium in seiner luftdichten Plastikhülle auf dem Bett aus, um nachzusehen, ob es beschädigt war. Alles, was sie in Khartum hatten erledigen wollen, war durch seine Verhaftung und die erzwungene hastige Abreise am morgigen Tag aus dem Gleis geraten. Es wird schön sein, Äthiopien wiederzusehen – möglicherweise das einzige Land der Welt, das in einem noch schlimmeren Zustand ist als der Sudan, dachte er grimmig. Aber es gibt eine gute Bibliothek dort … Es klopfte an der Tür.
Der Hotelbesitzer rief, er sei es, er bringe neue Handtücher. Lucy machte
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