Der dreizehnte Apostel
womöglich war sein Verfolgungswahn gerechtfertigt! »Dr. Shaughnesy«, sagte sie. »Sie beide sind Freimaurer.«
»Aber nicht irgendwelche«, bestätigte Underwood kichernd. »Ein schottisches Ritual, aber mit einer zusätzlichen persischen Zeremonie, die nur unserer Eli tebruderschaft bekannt ist. Mr. Merriwether, eines unserer Mitglieder, hat einige Leute auf dieses Evangelium hier angesetzt – und wer es ihm bringt, bekommt 20.000 Dollar Belohnung!« Er war entzückt wie ein Kind. »Vielen Dank also für das Geld, Mr. O’Hanrahan. Dr. Shaughnesy ist ein prima Logenbruder, und Mr. Merriwether wird ihm für seine Hilfe seine Anerkennung erweisen. Ganz sicher«, setzte er für O’Hanrahan hinzu, »wird es Ihr Herz erwärmen zu erfahren, daß zumindest einer Ihrer früheren Kollegen hieraus auch seinen Profit schlagen wird.«
O’Hanrahan sah aus, als würde er gleich spucken. Die drei Soldaten und Underwood, der mit blasierter Miene den Andreas ergriff, verschwanden. O’Hanrahan ließ sich aufs Bett sinken. Lucy Schloss ruhig die Tür und sperrte sie ab. Erst dann wagte sie es, sich umzudrehen und lautlos ihren Jubel zu zeigen, indem sie die Hände zusammenpresste und ein wenig hüpfte. O’Hanrahan lachte ein bisschen lauter: »Sie sind ein Genie, Schwester Lucy!«
»Ich wusste , daß ich Underwoods Ring schon einmal gesehen hatte.«
»Dieser Trottel Shaughnesy«, knurrte O’Hanrahan. »Das muss man sich vorstellen. Im Rückblick ist es schwer zu glauben, daß Shaughnesy Gelder des Fachbereichs ausgeben würde, um mich zu retten, oder daß er mir tatsächlich eine Kreditkarte schicken würde.«
»Verschwinden wir aus Khartum«, bat sie.
Väterlich legte er ihr die Hand auf die Schulter. »Dank Colonel Westin habe ich für morgen früh zwei Tickets nach Addis Abeba«, teilte er ihr mit.
Äthiopien? Noch ein anderes Land? »Und dann gehen wir zurück nach Jerusalem?« fragte sie hoffnungsvoll. Sie hatte sich schon alles ausgedacht: So-bald sie zurück in der Zivilisation war, würde sie so-fort herausfinden, ob sie schwanger war oder nicht, und dann dementsprechend ihre Entscheidung treffen. Wenn sie wirklich schwanger war, würde sie O’Hanrahan und Rabbi Hersch ihre Sünde beichten, und zur Hölle, nach allem, was sie zusammen durchgemacht hatten, würden diese beiden wohl eine Möglichkeit finden, um ihr zu helfen. Sie könnte in einen Kibbuz gehen oder so etwas. Das Kind in Israel zur Adoption geben – vielleicht war das möglich. Oder das Kind in Israel bekommen und es in den USA zur Adoption freigeben. Das wichtigste war, nicht nach Hause zu fahren. Nicht während der kommenden acht Monate.
Wem konnte sie schließlich trauen? Judy würde es Gabriel erzählen, und so würde es zu ihren Eltern durchdringen. Sie konnte sich nirgendwo verstecken, und sie wusste haargenau, daß sie als ledige schwangere Frau im Kreis der Familie Dantan mit all ihren jungfräulichen Tanten abgeschrieben sein würde. Oh, und sogar an der Universität von Chicago würden alle einen Riesenwitz daraus machen und sich lustig machen über das altmodische irische Mädchen, das nach einem Sommer mit O’Hanrahan zurückkam, schwanger und sonnengebräunt. »Sir?« stupste sie ihn an. »Wir gehen doch zurück nach Israel, nicht wahr?« O’Hanrahan ließ sich Zeit mit der Antwort. Eigentlich war es ihm ganz recht, sie in ein Flugzeug zu setzen und zurück nach Hause zu verfrachten, während er in Teheran dem Urevangelium Q nachjagte – und natürlich seinen Harem bekam.
(Du selbstsüchtiger Mann. Diese Frau ist deine Rettung!) Er hatte nicht darüber nachgedacht, was er mit Lucy anfangen sollte. (So wie du nie an jemand anderen gedacht hast. Immer nur an deine eigenen Wünsche!)
»Doch, ich nehme schon an«, erwiderte er und verschob die Suspendierung seiner Jüngerin auf die letzte Minute. »Meine Güte, schauen Sie, wie spät es ist! Wir müssen uns beim Verkehrsministerium unsere Stempel holen, oder wir kommen hier nie heraus!«
Das Verkehrsministerium. Ein Gebäude, das sich Kafka hätte ausdenken können: Sechs Stockwerke im selben Grundriss , jedes Büro genau gleich geschnitten, jede Wartebank und jeder Schalter identisch, und die Beamten, größtenteils Soldaten – es hatte den Anschein, als wäre das ganze Land in der Armee –, wiesen jede Bitte und jede Bestechungssumme ab. Ausgemergelte Afrikaner, achtköpfige Familien, die in stinkenden, sch mutzigen Kleidern zusammengekau ert warteten, die Gesichter
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