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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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umgekommen ist, hat Paddy geschworen, er werde nie mehr fliegen.«
    Lucy wurde es schwindelig. »Ich dachte, es war ein Autounfall …«
    »Nein, Beatrice ist bei einem Autounfall gestorben, als sie bei über einem Meter Schnee und Eis hysterisch zum Flughafen gerast ist, um zu sehen, ob Rudolph den Absturz überlebt habe. Es war eine Boeing 727, die von der Landebahn abgekommen war; die meisten Passagiere waren lediglich verletzt, aber Paddys Sohn war unter den wenigen Toten. Und dann ist Beatrice durchgedreht … hat Ihnen das niemand erzählt?«
    »Nicht die Einzelheiten.«
    »Nun ja. Gibt es in Addis ein Hilton? Wann und wo kann ich euch beide treffen?«
    »Äh, Dr. O’Hanrahan sagt …« Ein Klicken. »Hallo? Hallo?« Jetzt hörte sie nur noch das Rufzeichen.
    Lucy trat wieder hinaus in den Spätnachmittags sonnenschein , der das Verkehrsministerium in ein warmes Wüstenorange tauchte. Sie fand O’Hanrahan an derselben Stelle vor, wo sie ihn zurückgelassen hatte … Nachdem sie das Wichtigste von ihrem Anruf erzählt hatte, fragte sie, ob es bei ihren Stempeln irgendwelche Fortschritte gebe.
    »Eine Frau hat mir gerade gesagt, es werde höchstens noch zwei Minuten dauern.«
    Zehn hoffnungsvolle Minuten weiteten sich aus zu einer ungeduldigen Viertelstunde, dann waren es zwanzig Minuten. Schließlich starrten sie wieder wie narkotisiert vor sich hin. Eine weitere Stunde verdampfte in der stinkenden Hitze des Gebäudes. Endlich zogen zwei zahnlos lachende Männer, die sich stellvertretend an ihrem Glück mitfreuten – sie warteten selbst schon seit Tagen auf ein solches Ereignis – O’Hanrahan am Ärmel und erweckten ihn zu neuem Leben: As-sikriteera! riefen sie. Die allmächtige Sekretärin klopfte an die Glasscheibe des Schalters. O’Hanrahan kam mühsam auf die Beine und holte die Pässe … den seinen und den einer anderen weißen Frau, aber nicht den von Lucy. »Aber das ist nicht der richtige«, beharrte er. Die Sekretärin zuckte die Achseln. Was war der Unterschied? O’Hanrahan schrieb »Lucy Dantan« und transkribierte den Namen daneben auf Arabisch . Bitte, flehte er, um Allahs willen! Suchen Sie ihren Pass heraus, und kleben Sie eine sudanesische Halbpfund-Marke, siebzehn Cents, darauf.
    Der Professor kehrte zurück auf den dunklen Bo denfleck im Flur, den Lucy als ihren Bereich markiert hatte. Wo er zuvor gesessen hatte, war nun ein klappriges, dürres Huhn. Als er es mit dem Fuß verscheuchte, kam eine Frau herbeigerannt, den Finger tadelnd erhoben, und hob ihren kostbaren Besitz auf.
    »Ich glaube nicht«, sagte Lucy, »daß ich die Toilette in diesem Gebäude erkunden will.«
    »Ich kann Ihnen versichern, daß Sie das nicht wollen.« Vom Ende des Flurs her kam ein Getränkever käufer , der Wasser in Flaschen anbot, für zwei Pfund. Die ärmeren Sudanesen sahen traurig auf die glitzernden Flaschen, die sie sich nicht leisten konnten. Die arabischen Sudanesen und die Soldaten kauften ein paar Flaschen. O’Hanrahan bestellte zwei. »Ist es sauber?« fragte er. »O ja«, versicherte man ihm. Lucy und er starrten auf die Flasche. Zimmertemperatur. O’Hanrahan hielt sie gegen das Licht. Nein, verdammt, das tranken sie besser nicht. Lucy gab ihre Flasche weiter an die zerlumpte achtköpfige Familie, die gegenüber von ihnen an der Wand kauerte. So stellte Lucy sich eine Leprakolonie vor. Sie beobachtete, wie jeder dankbar einen Schluck nahm, dann wurde die Flasche an eine andere armselige Familie weitergegeben – drei Mundvoll Wasser, die für sechzehn Menschen gestreckt wurden.
    O’Hanrahan schliefen die Beine ein, daher stand er auf und spazierte den Gang entlang. An einem Eck bemerkte er, daß der Zementboden abgebröckelt war, als hätte an dieser Stelle eine Granate eingeschlagen. In dem Loch stand braunes, brackiges Wasser. Eine Dreckpfütze im fünften Stockwerk eines Amtsgebäudes: Afrika!
     
    GONDAR
    24. August 1990
    Auf der Fahrt zum Flughafen um sechs Uhr morgens war O’Hanrahan nervös und wischte sich immer wieder zwanghaft über die Stirn. »Sie fliegen häufig, nicht wahr?« fragte er Lucy.
    Die flog zwar nicht häufig, wollte aber keine Scherze mit ihm machen, da sie nun wusste , wie sein Sohn umgekommen war. »Ja, oft«, versicherte sie ihm. »Es ist wirklich nichts dabei. Und bis Addis ist es doch auch kein langer Flug. Stellen Sie sich nur vor, wie lange ein Flug von hier nach Chicago dauern würde. Das hier ist nur ein Katzensprung.«
    »Ja«, erwiderte er. Ihre Worte

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