Der dreizehnte Apostel
»Im Flüchtlingslager gibt’s nichts zu fotografieren, da sind ja nur diese armen Schweine …« Nicht nötig, das näher zu erklären.
»Ich bin Georgie Shelton«, sagte die junge Frau und streckte Lucy die Hand entgegen, »wenn Davey es nicht fertigbringt, sich zu mir zu bekennen, muss ich mich eben selber vorstellen.« Lucy versuchte, ihren Akzent einzuordnen.
»Engländerin oder …«
»Australierin«, ergänzte die junge Frau. »Aus Perth.«
»Oh, sag g’day zu Lucy, Georgie! Das darfst du ihr nicht vorenthalten«, bat David.
Sie gab nach und sagte g’day – mit echt australischem Akzent. Lucy lachte, und David umarmte Georgie. »Ich glaube, Lucy ist die erste von der Welt
draußen, die es erfährt: Georgie und ich sind verlobt!«
]]]
Der Fahrer des Ford, Baujahr 1988, hielt an, damit eine Schafherde die Lehmstraße nach Addis Abeba überqueren konnte. »Sobald wir nach Debra Markos kommen, wird die Straße besser«, versprach Mr. Conrad Thorn von der US-Botschaft in Äthiopien, ein Mann um die Vierzig mit rotblondem Haar und einer Anstecknadel am Revers. »Geteert bis zur Hauptstadt.«
O’Hanrahan, der zusammen mit Lucy auf dem Rücksitz saß, war zufrieden. »Ich bin nur froh, daß ich nach dieser Bruchlandung noch heil und ganz bin.«
»So etwas passiert ständig«, erklärte Thorn und hupte kurz, um die Schafe zu vertreiben. »Die Flugzeuge aus der Region landen im Tana-See, auf den Schnellstraßen – überall, bloß nicht auf den Flughäfen. Vermutlich ist es eine Gnade Gottes, daß diese Dinger heil bleiben.« O’Hanrahan lachte höflich und warf einen Blick auf Lucy, die krank aussah. »Alles in Ordnung?« fragte er leise.
» Irgendetwas , das ich gegessen habe«, antwortete sie mit rauher Stimme. »Ich nehme an, David ist nach fünf Wochen soweit, daß er das gleiche essen kann wie die Leute hier, wie?«
»Vermutlich.«
»Hat er nicht gut ausgesehen?« Allerdings, dachte Lucy.
Ihr Freund von der Botschaft meldete sich wieder. »Die Akte über Sie beide ist so dick«, zeigte er mit den Fingern. Das war Nahrung für O’Hanrahans Ego. »Wirklich?«
»Dann gibt es noch eine besondere Direktive von einem Colonel Westin …«
»Ach, der gute alte Westin«, unterbrach O’Hanrahan und beugte sich vor. »Er ist bestimmt nicht besonders zufrieden mit mir.« Mach weiter, schien O’Hanrahan zu sagen, erzählen Sie mir mehr über meine eigene Legende!
»Es ist meine Aufgabe … äh, irgendwie ist das unangenehm, aber ich sage es wohl besser ganz offen …«
»Bitte.«
»Ich soll dafür sorgen, daß Miss Dantan sofort zurückfliegt in die Staaten, damit sie außer Gefahr ist. Und Sie, Sir, sollen an einen bestimmten Ort …«
»Richtig. Ich soll für euch Jungs einen Laden in Teheran aufmachen.«
»Das ist außergewöhnlich, Sir«, staunte Mr. Thorn kopfschüttelnd. Es war auch wirklich außergewöhnlich. O’Hanrahan konnte es nicht dabei bewenden lassen. »Ich glaube, ich bin der erste aus dem Westen, dem sie einen Posten angeboten haben. Vielleicht könnte ich auf meine Art dazu beitragen, die diplomatischen Verbindungen zu unseren persischen Freunden neu zu knüpfen.«
Was soll das, ein Posten in Teheran? höhnte Lucy innerlich.
»Wissen Sie, ich beneide Sie, Sir«, sagte Thorn, der nun, nachdem sie die Schafe hinter sich gelassen hat ten, wieder in voller Geschwindigkeit dahinfuhr. »Wir armen Staatsdiener verbringen ein Leben lang an solchen Orten, ohne daß wir die Sache unseres Landes wirklich fördern könnten.« O’Hanrahan floss
über vor Begeisterung über sich selbst. »Was bedeutet das, ein Posten in Teheran, Dr. O’Hanrahan?«
Der Professor senkte den Blick und bemühte sich, ein milde belustigtes Gesicht zu ziehen. »Hm. Man hat mich angeheuert, in den Iran zu gehen.«
Lucy wandte sich ab und sah aus dem Fenster. »Und ich soll nach Hause verfrachtet werden, wie?«
»Oh, ich komme ja gleich nach, wenn ich geschaut habe, was es in Teheran so gibt. Wir werden dann wie geplant wieder mit dem Matthias weitermachen. Aber Luce, diese Perser haben Q! Ich muss mir das ansehen!«
Lucy spürte Tränen in den Augen. Natürlich, das war das Ende. Wirklich, jeder hätte vorhersehen können, daß es so kommen musste . Er hat das Herumge plänkel mit der Schriftrolle satt und sucht sich ein neues Abenteuer, und du, Lucy Dantan, hast deine Schuldigkeit getan. Du warst nur jemand, dem er etwas vorschwadronieren konnte, damit es ihm nicht langweilig wurde. Aber jetzt ist es
Weitere Kostenlose Bücher