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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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Zeit, weiterzu schlurfen und den überflüssigen Ballast abzuwerfen.
    »Es ist ja nur für einen Monat oder so«, sagte er und lachte ein wenig gekünstelt.
    Lucy starrte aus dem Fenster und fühlte sich in jeder Hinsicht betrogen. Sie hatte eben das Talent, das
    zu glauben, was sie glauben wollte, egal, ob es um Stavros ging, um David, um Dr. O’Hanrahan oder um ihr eigenes Leben und ihre Zukunft. Sie taugte nicht für diese Welt, in der die Menschen einen anlogen und zum Narren hielten. Ja, andere hatten kapiert, wie das Leben lief, aber nicht sie. Sie hätte sich nie aus der Kimbark Street fortrühren sollen, hätte sich nie ein komplizierteres Problem stellen sollen als die Frage, welchen Fruchtjoghurt sie und Judy zum Abendessen nehmen sollten, bevor sie das Aerobic-Video einschalteten und die Katzen fütterten … Die Randbezirke von Addis Abeba kamen in Sicht. Hütten und Feuer und Slums, dann mit Brettern vernagelte Geschäfte, verfallende Gebäude; eine Stadt, die verfaulte. Überall waren Truppen, laut Mr. Thorn waren 20.000 Kubaner hier. Der größte Teil der Innenstadt lag chaotisch verstreut auf einer Reihe von Hügeln, eine Art afrikanisches Washington D. C. mit Straßenringen und Monumenten, die nun niedergerissen oder beschmiert waren. Sie erhaschte einen flüchtigen Blick auf den verwüsteten Präsidentenpalast, Haile Selassies geplünderten Vergnügungspark. Wie in Osteuropa, China oder im Irak waren überall haushohe Tafeln, geschmückt mit Volkskunst: Ein riesiger, lächelnder Mengistu winkte neben einem lächelnden Gorbatschow und einem Lenin, der aussah wie ein grimmiger Heiliger, den jubelnden Afrikanern zu, während Panzer über die Straßen patrouillierten. Hungersnot, Naturkatastrophen, endlose Bürgerkriege, eine ruinierte Wirtschaft, über eine Viertelmillion Menschen waren von diesem Regime umgebracht worden – aber keine Angst, äthiopische Marxisten, eure Zukunft ist gesichert: zwölf Milliarden Dollar für kubanische und russische Waffen!
    O’Hanrahan und Lucy wurden im Hilton abgesetzt, wo sie nach strengster Anweisung der Botschaft unbedingt zu bleiben hatten, da eine vorübergehende Ausgangssperre über die Hauptstadt verhängt war und nicht einzuschätzen war, was die zahllosen betrunkenen Soldaten, die in der Dunkelheit herumzogen, tun würden. Die Kubaner, sagte Mr. Thorn, von denen gerade eine Einheit frisch aus Angola gekommen war, seien Drogensüchtige oder Alkoholiker – kein Wunder, da sie diesen Bürgerkrieg verlieren würden und der Vernichtung ins Auge sahen. Die Amerikaner und ihre Diplomaten hatten nur deshalb ein wenig Bewegungsfreiheit, weil der Regierung klar war, daß die Amerikaner, und nicht die sowjetischen Gönner, bei der Linderung der Hungersnöte halfen, und solange Amerikaner im Land waren, brauchte die Regierung keinen Finger zu rühren, um dem eigenen Volk zu helfen. Das Hilton hatte – wie ganz Addis Abeba – seine besten Jahre in den Sechzigern gehabt.
    O’Hanrahan wechselte seine sudanesischen Pfund gegen äthiopische Birr ein, bezahlte die beiden Zimmer und machte ein wenig banale Konversation mit dem Empfangschef, da er den Augenblick fürchtete, in dem er und Lucy allein sein würden. Mr. Thorn, der vor Einbruch der Dunkelheit in die sichere Botschaft zurückkehren wollte, gab ihnen christliche Segenswünsche mit auf den Weg – vermutlich ist es hier angesichts der muslimischen Aufstände nützlich, sein Christentum herauszustreichen, dachte Lucy; und er sagte noch, er werde am nächsten Tag wiederkommen. Stumm stand Lucy im Aufzug.
    »Woran denken Sie?« riskierte es der Professor zu fragen. »Wie sehr Sie mich angelogen haben.«
    »Nein, ich bin genauso erpicht wie eh und je, das Matthäusevangelium zu übersetzen, aber Teheran ist eine Gelegenheit, die man nur einmal im Leben hat. Mir wurde ein Posten angeboten, als wir in Jerusalem waren.« Mit bitteren Gefühlen stieg Lucy aus dem Aufzug.
    »Vielen Dank, daß Sie mir das sagen! Was waren dann Khartum und Degoma? Ein kleiner Ausflug, bevor Sie alles hinwerfen, mich mit Colonel Westin in ein Flugzeug verfrachten und selbst zu neuen Abenteuern nach Teheran aufbrechen?« Wütend steckte sie den Schlüssel ins Schloss ihrer Zimmertür. »Großartig für Sie, nicht wahr? Sie haben nicht einmal die Absicht, das Projekt Matthias zu Ende zu führen, nicht wahr?«
    »Aber natürlich …«
    »O nein. Sie sind kein Mensch, der Dinge zu Ende führt, das erkenne ich jetzt.« Sie wirbelte auf dem

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