Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
Vom Netzwerk:
Empfangsdame, dieselbe, die O’Hanrahan und Lucy am Vorabend eingetragen hatte, war eine hochgewachsene Frau mit somalischen Gesichtszügen, einem vollkommen geformten Kopf und großen Augen. Sie kniete sich neben eine störrische Schublade, die nicht aufgehen wollte. Darin aufgestapelt lagen Telefonbücher von zahlreichen afrikanischen Hauptstädten und einigen europäischen Städten, New York, Los Angeles …
    »Haben Sie auch Jerusalem?« fragte Lucy.
    »O ja«, erwiderte die Dame und suchte in der Schublade.
    »Sie sprechen sehr gut Englisch«, meinte Lucy, die das Bedürfnis hatte, sich mit dieser auffallend schönen Frau anzufreunden.
    »Ich habe in Amerika studiert, an der staatlichen Universität von Michigan.«
    »Das muss East Lansing sein«, riet Lucy, die nie in Michigan gewesen war. » Gestern Abend war das Hotel geradezu eine Hochburg der Amerikaner.« Lucy
    warf einen Blick auf die Reihen von Schlüsseln, die in den Kästchen hingen. Nur wenige Leute riskierten es, während des Bürgerkriegs nach Äthiopien zu reisen. Und die freiwilligen Helfer oder ehemaligen Exilanten, die nach Äthiopien kamen, würden nicht in einem so teuren Hotel übernachten. »Sind denn Geschäftsleute hier?« fragte Lucy. »Nein, niemand kommt mehr hierher«, erwiderte die Frau und legte Athen und Paris beiseite. »Deswegen ist es so seltsam, gleich drei Amerikaner auf einmal, die gestern Abend hier angekommen sind. Sie, der Doktor und der Mönch.«
    »Der Mönch?«
    »Ein amerikanischer Mönch …« Die Frau hatte nun das Jerusalemer Telefonbuch unter den anderen her vorgegraben . »Sehen Sie, der Einband fehlt«, lachte
    sie. »Unmöglich, das zu finden!«
    »Ein Mönch, haben Sie gesagt?«
    »Ja, er hat nachgefragt, ob Ihr Freund …«, sie warf einen Blick auf das Gästeregister, » … ob Dr. O’Hanrahan hier im Hotel sei. Aber er fragte, als Sie noch gar nicht angekommen waren. Der Mönch und Sie gehören zusammen, ja?«
    Lucys Herz klopfte schneller. »Ja.«
    »Aksum ist wegen des Krieges für Touristen gesperrt. Aber Lalibela ist manchmal offen.« Die Dame legte das Telefonbuch auf die Theke und stieß die Schublade mit dem Fuß zu. »Früher sind viele Christen nach Äthiopien gekommen – es ist traurig.«
    »Der Mönch ist mein Onkel«, flunkerte Lucy. »Welches Zimmer haben Sie ihm gegeben? Ich werde ihm sagen, daß er mit mir frühstücken soll.« Die schöne Frau mit den schweren Lidern und perfekten Augen brauenbögen sah im Register nach. »416.«
    Lucy nahm das Jerusalemer Telefonbuch, schlug Mordechai Herschs Nummer nach und schrieb sie auf. Dann entschuldigte sie sich; sie werde gleich wiederkommen, um anzurufen. Die Frau sagte, dann werde Rashawn da sein , der in fünf Minuten seinen Dienst antrete. Als der Aufzug im vierten Stock hielt, trat Lucy zögernd auf den leeren Gang. Was sollte sie sagen? War dieser Mönch der fanatische Frater, der ihnen überallhin gefolgt war? Sie würde behaupten, sie habe sich im Zimmer geirrt, und dabei konnte sie sich das Gesicht des Mannes einprägen. Sie ging ein paar Türen weit in die falsche Richtung und dann wieder zurück, 420, 419, 418, 417 …
    Dann stand sie vor der Tür. Sie war nur angelehnt. »Hallo?« rief sie.
    Nichts. Ganz sachte stieß Lucy die Tür ein wenig weiter auf. »Hallo? Äh, Entschuldigung, der Zim merdienst .«
    Immer noch nichts. Lucy steckte den Kopf zur Tür hinein und sah sich um. Das Zimmer sah aus wie ein Schlachtfeld. Ein Koffer, der auf dem Bett lag, war zerfetzt. Überall lagen Papierzettel herum, eine schwarze Kutte war zerschnitten. Lucys Herz klopfte schneller, als sie dieses Durcheinander betrachtete. An den Kofferresten klebte ein Flugetikett der El Al: auf den Namen Mordechai Hersch.
    ]]]
     
    »Lucy«, sagte O’Hanrahan, der nach einer unruhigen, schlaflosen Nacht erschöpft aussah, »kommen Sie herein, bitte. Hören Sie, ich entschuldige mich. Ich weiß nicht, was ich mir gedacht habe. Die Sache mit Teheran ist gegessen. Ich muss verrückt gewesen sein
    …« Lucy trat rasch in das verrauchte Zimmer. Eine leere Whiskyflasche stand auf dem Tisch.
    »Setzen Sie sich besser hin«, warnte Lucy und begann nervös hin und her zu gehen.
    O’Hanrahan setzte sich auf den Bettrand. »Was ist los?«
    »Vollkommen zufällig habe ich erfahren, daß ein Mönch im Hotel ist, der gestern an der Rezeption nach uns gefragt hat.« O’Hanrahan riss die Augen auf.
    »Die Empfangsdame war so vertrauensvoll, daß sie mir seine Zimmernummer

Weitere Kostenlose Bücher