Der dreizehnte Apostel
ich tun
will. Und was Du willst.
»Was wollten Sie sagen, Sir?«
Er sah auf die Uhr auf seinem Nachtkästchen.
»Aber so wird es in Wirklichkeit nicht sein. Es wird den Lorbeerkranz des Ruhmes geben, Miss Dantan, aber nicht ich werde ihn tragen.« Lucy fragte sich, ob er bei klarem Bewusstsein war.
O’Hanrahan zuckte missbilligend die Achseln. »Was ist das wert, wenn ich meinen Namen in die Zeitung bekomme? Ich könnte wieder im Scholastischen Register stehen. Juhu, dieser Trottel Shaughnesy steht auch drin, wo liegt da die Ehre? Ich werde meine letzten Jahre – wenn ich noch so lange Z eit ha be – nicht mit einem trockenen alten Buch vergeuden. Ich gebe die Zügel ab.«
Lucy sah sich plötzlich ganz aus dem Projekt hinausgedrängt. Aber dann, als sie seinem Blick begegnete, wurde ihr klar, was er meinte. »Sie meinen …«
»Ich gebe das Matthäusevangelium Ihnen, Luce. Ich will, daß Sie das Evangelium herausgeben und als Ihre Doktorarbeit veröffentlichen.«
Lucy brachte kaum ein Wort heraus. »Dr. O’Hanrahan.«
Er hob die Hand. »Nein, hören Sie mir zu. Das wird Ihre Karriere sichern, junge Dame. Sie werden so berühmt sein wie Pater Beaufoix und Morey und der ganze Haufen, und Sie verdienen es, so berühmt zu sein, weil Sie ein Hirn in Ihrem Kopf haben. Und wenn Sie wieder anfangen, an dem Quatsch zu arbeiten, den Sie im Augenblick als Doktorarbeit bezeichnen, dann werden Sie in der akademischen Welt verfaulen – glauben Sie mir.
Ich hatte ein Hirn, und dann habe ich mich in der akademischen Welt verheddert, und nach und nach ist alles, was gut an mir war, in Alkohol und kleinlichen, internen Kämpfen und Budgetgezänk und Ängsten um Veröffentlichungen ertrunken. Und es war eine Hölle, mit mir zu leben – für meine Frau, meinen Sohn, wenn Sie nur wüssten , wie …«
Er spürte einen Kloß im Hals. Nein, er war nicht bereit, diesen Tatsachen so schonungslos ins Auge zu sehen, zumindest nicht jetzt vor Lucy.
»Auf jeden Fall, Lucy, ich werde mit Morey reden, er kann Ihr Berater sein. Und ich rufe diesen Mistkerl Shaughnesy an und hole seine Erlaubnis ein, und Sie können Ihr junges Leben dort beginnen, wo es sein sollte. An der Spitze.«
»Sir, ich … ich kann nicht.«
»Natürlich können Sie. Ich verkünde es; ich spre che ex cathedra.«
»Aber Sie haben so hart dafür gearbeitet …«
»Ja, aber wissen Sie, was die gottverdammte Wahrheit ist? Ich bin kein Schreiber. Ich war nie einer. Mein Leben lang wollte ich ein Regal voller Bücher mit meinem Namen in meinem Büro stehen haben, so wie Morey, etwas, das von mir zurückbleibt; aber die Wahrheit ist: Ich bin nur ein guter Lehrer, ein Redner, an guten Tagen Sokrates, an schlechten Tagen ein Hochstapler, der für den Kongress kandidieren sollte. Und auch Sokrates hat nie etwas geschrieben, nicht wahr?« Er sah, daß Lucy womöglich zu weinen begann oder gefühlvoll wurde, und das wollte er verhindern. »Widmen Sie das Ding mir. Widmen Sie … widmen Sie mir eine Fußnote!«
Aber diese letzte Bitte hatte hohl geklungen, und Lucy kämpfte gegen Tränen an. »Wir sprechen darüber, wenn es Ihnen besser geht …«
»Es geht mir schon besser!« Eine Krankenschwester stand in der Tür: »Nein, es geht Ihnen noch nicht besser. Miss«, setzte sie für Lucy hinzu, »Sie müssen unserem Patienten jetzt ein wenig Ruhe gönnen!« An der Tür stammelte Lucy: »Ich komme am Nachmittag wieder. Dann haben Sie vorher noch Zeit für Ihre Schwester.« »Bloß nicht!« rief er in gespielter Verzweiflung. »Schauen Sie nach, ob sie Arsen in der Tasche hat!« Die Schwester schüttelte seine Kissen auf, und sehr erschöpft ließ sich O’Hanrahan zurücksinken. Lucy warf ihm noch einen B lick zu, bevor sie ging. Natür lich, wer sah in diesen fadenscheinigen Kranken haushemden und in diesem fluoreszierenden Kran kenhauslicht nicht aus wie der leibhaftige Tod? Ar mer Mann, dachte Lucy. Und als sie den sterilen Flur entlangging, vorbei an anderen Szenen von Kummer und Leid, dachte sie: Und wenn dieses Kind ein Junge ist, werde ich ihn Patrick nennen. Eine Geste ver dient eine andere. Eine Geste der Liebe, die – o Gott, dachte sie und blinzelte gegen Tränen an, holte tapfer Luft, ohne langsamer zu gehen, ich hoffe, du stirbst nicht, alter Mann.
(Genau dasselbe denkt Patrick.)
Ganz allein. Die Vorhänge zugezogen, kein Licht an, keine Kranken schwester, keine Lucy, keine Ca therine.
Es ist vollbracht, dachte O’Hanrahan mit trauriger Gewissheit .
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